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Monsieur la „platitude“

Good times create weak people

15.07.2023 

Im 17. Jahrhundert, zur Zeit des französischen Barock, bezeichnete der Begriff „platitude“ ein weites Feld oder eine Ebene ohne Bäume und Sträucher, auf der sich der Gartenarchitekt ausleben konnte. Der Begriff fasste natürlich auch im Deutschen Fuß und erhielt im Laufe der Zeit – nachdem Barockgärten aus der Mode gekommen waren – eine neue Bedeutung. „Plattitüden“ sind Allgemeinplätze. Statements, denen keiner widersprechen kann. „Der Krieg in der Ukraine muss möglichst schnell beendet werden.“ ist ebenso eine Plattitüde wie Wir müssen die Pflegeberufe mehr schätzen.“ Und eigentlich so gut wie jedes Statement, das mit „Wie kann es in einem der reichsten Länder der Welt eigentlich sein, dass…“ eingeleitet wird. Plattitüden sind wohlfeil. Niemand kann widersprechen und die Themen sind meistens so allumfassend, dass man nicht gezwungen ist, konkret zu handeln.

Ein Schwätzchen in der Sonne
Traditionell führt das ZDF während der Parlamentspause die sogenannten Sommerinterviews. Mehr oder weniger engagierte Journalisten treffen auf mehr oder weniger auskunftswillige Politiker. Und je nach der politischen Couleur des Fragenden wird dem Interviewpartner entweder eine goldene Brücke nach der anderen gebaut oder versucht, ihn bloßzustellen. So weit, so unbefriedigend. Aber – das gehört auch zur Wahrheit – es gab natürlich auch Highlights. Zum Beispiel eine wirklich gut aufgelegte Bettina Schausten, die 2018 Angela Merkel derart in den verbalen Klammergriff nahm, dass selbst die Sphinx aus der Uckermark schnaufte und mit den Augen rollte. Den Aufgalopp in diesem Jahr machte das Zweite Deutsche Fernsehen mit unser aller Staatsoberhaupt: Frank-Walter Steinmeier. 

Lieber Dienst nach Vorschrift
Frank-Walter Steinmeier ist der König der Plattitüde. Man mag jetzt sagen. "Kein Wunder. Das ist er ja qua Amt." Der Bundespräsident ist der politische Frühstücksdirektor des Landes. Nominell der Chef im Ring, aber faktisch ohne Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeit. Damit kann man sich begnügen, so wie Steinmeier es tut, oder man macht es wie der ein oder andere seiner Vorgänger: Man lässt sich nicht davon abhalten, bei den passenden Gelegenheiten mal „einen rauszuhauen“. So wie Richard von Weizäcker vor dem Deutschen Bundestag am 8. Mai 1985 zum 40jährigen Kriegsende. Oder Roman Herzog, der sich 1997 nicht nur an den Bundestag, sondern das gesamte Land wandte, um ihm den Kopf zu waschen.

Ein einmaliges Amt
Wenn man Johannes Rau mal rausnimmt, weil der aus gesundheitlichen Gründen nie wirklich zu 100% einsatzfähig war, war Roman Herzog leider auch der letzte, der das Amt auf diese Weise interpretiert hat. Horst Köhler war beleidigt und warf frühzeitig hin, weil er sich von der Presse zu harsch kritisiert fühlte, Christian Wulff hatte gute Ansätze, stolperte dann aber über ein Bobby Car und Joachim Gauck hat leider erst nach seiner Amtszeit verstanden, dass er die Menschen wesentlich besser erreicht, wenn er den Pastor zuhause lässt und verbal da ansetzt, wo es auch mal weh tut. Das Amt des Bundespräsidenten ist dadurch einmalig, dass sein Träger niemandem Rechenschaft schuldet. Keinem Gremium, keiner Regierung, noch nicht mal dem Volk, da es ihn nicht gewählt hat. Nur sich selbst. Der Bundespräsident kann sich deshalb genau das leisten, das andere Politiker hintanstellen müssen, wollen sie im Berliner Tagesbetrieb erfolgreich sein: seinen ureigenen, persönlichen, moralischen Kompass. Eine Meinung, die sich nicht zwangsläufig mit dem Parteibuch deckt, sondern so divers ist, wie die der meisten Menschen. 

Kalkulierter Tabubruch
Von Weizäcker wusste sehr genau, dass er ein Tabu brechen würde, als er 1985 vor den Bundestag trat. Erwartet wurde von ihm die „übliche Rede“ zum Tag der Kapitulation Hitler-Deutschlands und der Befreiung durch die Alliierten. Geliefert hat er eine, in der er als erstes deutsches Staatsoberhaupt öffentlich und sehr deutlich diesen Tag auch mit dem Gedenken an die Opfer des Kriegs und des Holocausts verbunden hat. Er sprach vom Bedauern und der Scham der deutschen Nation über die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs und von der Verantwortung, die daraus für die nachkommenden Generationen erwachsen würde. Gerüchten zufolge soll Franz-Josef Strauß in München komplett frei gedreht haben, als er davon hörte. Und auch die Ruck-Rede von Roman Herzog war keine leichte Kost. Keine Plattitüden, keine Euphemismen.

Reißt Euch zusammen!
Er richtete sich direkt an das Volk und sprach zu einem Land, in dem der erste Lack der Wiedervereinigungs-Trunkenheit abgeblättert war. Keine blühenden Landschaften. Stattdessen schleichender Identitäts-Verlust auf der einen, Arroganz aus Überforderung auf der anderen Seite. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen." Die präsidiale Art zu sagen: Reißt Euch endlich mal zusammen. Die Geschichte hat uns die einmalige Gelegenheit der Wiedervereinigung gegeben. Aber anstatt aus dieser Chance etwas zu machen, beschwert Ihr Euch über jede Kleinigkeit und zeigt mit dem Finger auf die anderen. Hört auf, zu heulen!

Farblos vor einer weißen Wand
Eigentlich wäre aktuell die ideale Zeit für einen Bundespräsidenten, der sich exakt in dieser Tradition an das Land wendet. Einer, der sich nicht in Plattitüden ergeht oder irgendwelche Phrasen drischt. Einer, der Kritik übt. An uns. An der Politik. An der Art, wie wir miteinander umgehen. An denen, die sich auf Straßen festkleben, weil sie glauben, sie dürften sich aus diffuser Angst über geltendes Recht hinwegsetzen und an denen, die meinen, die Kleber mit einem LKW überfahren zu dürfen. An den rechten Maulhelden, die sich in der Anonymität des Netzes verstecken und an den Sprachpolizisten, die denken, andere als "Faschisten" bezeichnen zu dürfen, weil sie sich weigern, Sternchen auf ihre Texte zu streuen. An Politikern, die anderen vorschreiben, wie sie zu leben haben und solchen, die in der Regierungskoalition ständig am zündeln sind, um die eigenen Umfragewerte zu pushen. Ein Bundespräsident, der uns ins Gedächtnis ruft, das wir besser sind als das, was wir momentan zeigen. Dass wir mehr können. Nur haben wir diesen Bundespräsidenten leider nicht. Wir haben Frank-Walter Steinmeier. Einer, der in seiner jovialen Art eher an einen Kardinal, denn an einen Präsidenten erinnert. Der sich selbst als so staatstragend sieht, dass er bei jedem Auftritt wirkt wie ein Schauspieler in einem ARD-Mehrteiler, der die Rolle des Bundespräsidenten vor allem deshalb bekommen hat, weil er ihm so ähnlich sieht. Frank-Walter Steinmeier sitzt im ZDF-Sommerinterview, in einer Zeit, in der die AfD mit rund 20% ein Allzeithoch erklommen hat und das, was ihm dazu einfällt ist: „Wir müssen zurück zu einer ordentlichen Debattenkultur“. Sprach‘s – und verschwand in den Sommerurlaub.

Wie heißt es doch so schön...

Tough times create good people.

Good people create good times.

Good times create weak people.

Weak people create tough times.

Und da so ein Text nicht mit „weak people“ enden sollte, zurück zu einem, der wusste, was zu sagen war und dessen Worte heute vielleicht noch wichtiger sind, als vor 38 Jahren: 
 

„Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass
gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder gegen Türken,
gegen Alternative oder gegen Konservative,
gegen Schwarz oder gegen Weiß.
Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.“

R. von Weizäcker, 08. Mai 1985

 

Dann tun wir einfach...nichts

Das Pfeiffen im politischen Wald

02.07.2023 

Nun ist es also passiert: Die AfD besetzt politische Posten jenseits von Ortsvorsteher oder Gemeinderatsmitglied. Hannes Loth wurde in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt zum Bürgermeister, Robert Sesselmann im Landkreis Sonneberg zum Landrat gewählt. Beides wenig überraschend in Ostdeutschland, letzterer noch weniger überraschend in Thüringen, der Heimat von Björn „Bernd“ Höcke. Gut – Raguhn-Jeßnitz hat nur knapp 9.000 Einwohner und der Landkreis Sonneberg ist auch nicht besonders groß, aber beide sind eben jetzt geschichtsträchtig. Bereits vor der Wahl hatten sich die etablierten Parteien öffentlich darüber gestritten, wer denn nun schuld sei am „Aufstieg der AfD“. Diese Diskussion hat nun noch etwas mehr Würze bekommen. Jetzt geht es nicht mehr nur darum, sondern auch um die Frage, wie mit Wählern der Rechtsausleger umzugehen ist. Um genauer zu sein: Wie man sie zurückgewinnt.

Prozentual normal
Natürlich kann man sich wie der Bulle aufs Gatter stürzen wie Friedrich Merz und die Grünen zum Todfeind und zum Wurzel allen Übels erklären. Die „Verbotspartei“, die die Menschen in die Arme der braunen Kameraden treibt. Aber das ist – wie bei Merz nicht anders zu erwarten – natürlich viel zu kurz gesprungen. In der Wissenschaft geht man davon aus, dass es in jeder liberalen Demokratie einen sogenannten „Sockel“ gibt. Rund 8 – 12% rechts-national denkende Menschen. Wir sprechen aber derzeit bundesweit von der doppelten, in Thüringen und Sachsen von der dreifachen Anzahl. Die Frage, die man sich als Politiker also stellen muss, heißt: „Warum wählen Menschen, die sich das vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen konnten, plötzlich rechts außen?“. Die Antwort ist so kurz wie einfach und hat im ersten Schritt, sehr zum Leidwesen von Herrn Merz, nichts mit den Grünen zu tun: Diese Menschen haben Angst. Die Pandemie, der Ukrainekrieg, der inzwischen spürbare Klimawandel, die hohen Flüchtlingszahlen, die Inflation – kurz: Ein Großteil der Bevölkerung spürt, was „Zeitenwende“ bedeutet und dass sie nicht nur in der Ukraine stattfindet. Ihr Leben wird gerade mit Macht auf den Kopf gestellt und ihnen wird langsam klar, dass der Satz „nichts wird mehr sein wie es war“ zum ersten Mal in ihrem Leben nicht nur eine hohle Phrase ist. 

Im Angesicht des Säbelzahntigers
Angst gehört zu den sogenannten „sieben Grundemotionen“ – auch „Steinzeitemotionen“ genannt. Und die heißen nicht zufällig so. Bei Freude, Überraschung, Wut, Ekel, Trauer, Verachtung und Angst reagieren wir genau so wie unsere Vorfahren vor tausenden von Jahren. Wenn wir zum Beispiel Angst haben, schaltet unser Körper in den Krisenmodus. Unser Blut wird dicker, damit wir bei Verletzungen weniger davon verlieren, unsere Skelettmuskulatur wird stärker durchblutet, während sich unsere Bronchien erweitern – beides, um besser flüchten zu können – und der Bereich im Gehirn, der für rationale Entscheidungen zuständig ist, wird nur noch mit dem Nötigsten versorgt. Denn in Angesicht eines Säbelzahntigers, ist es nicht wichtig, die Folgen des eigenen Tuns zu überdenken oder mittelfristig zu planen. Es zählt nur das Jetzt und Hier. Flucht oder Angriff. Und genau so verhalten sich viele von uns Angesichts der genannten Bedrohungen. Entweder wir flüchten, indem wir versuchen, Nachrichten zu meiden, weil sie uns „runterziehen“ oder wir greifen an, gehen auf die Straße und brüllen gegen die „Klima-Mafia“. Wer also die Wähler jenseits des braunen Sockels wieder für die etablierten Parteien gewinnen will, muss ihnen ihre Angst nehmen und Sicherheit vermitteln.

B-Note: 0,0
Die schlechte Nachricht: Die Ampel-Regierung tut exakt das Gegenteil und zeigt noch nicht mal im Ansatz, dass ihr das bewusst ist. Die Grünen übertreffen sich selbst darin, Friedrich Merz täglich Vorlagen für seine nächste Parteitagsrede zu liefern. In feinster autokratischer Manier entmündigt sie die Bürger mit einem ständig erhobenen, moralischen Zeigefinger. Den Menschen wird vor allem mal erklärt, was sie nicht tun dürfen. Wie sie nicht zu heizen haben, was sie nicht essen dürfen und was sie nicht sagen dürfen, weil es rassistisch, sexistisch, anti-feministisch oder nicht gender-gerecht ist. Zeitgleich werden amateurhafte Gesetzesvorhaben fast genau so schnell wieder kassiert wie sie geschrieben wurden. Die SPD hat die Kommunikation Richtung Bürger komplett eingestellt. Würden die Herren Kühnert und Klingbeil nicht ab und zu staatsmännisch lächelnd in Talkshows sitzen, man müsste sich ernsthaft fragen, ob die Sozialdemokraten noch existieren. Und schließlich die FDP, die sich täglich selbst für die Goldene Kettensäge am Band nominiert, indem sie die Regierung boykottiert, der sie selbst angehört und sonst eigentlich nur noch als Eitelkeitsmaschine für ihren Vorsitzenden fungiert. 

Tabuthemen, die keine sein dürfen
Was sie aber alle gemein haben: Sie machen den großen Fehler, Themen, die von der AfD besetzt werden, als tabu zu begreifen und damit genau die Themen zu negieren, die die Menschen umtreiben. Natürlich haben wir ein Problem mit unkontrollierter und unorganisierter Zuwanderung. Natürlich haben wir ein Problem mit den Leitmedien, die alles, was auch nur nach konservativem Gedankengut riecht, in die rechte Ecke stellen. Erst kürzlich veröffentlichte der ARD-Ableger „Funk“ einen Instagram-Post. Der TextBjörn Höcke, Alice Weidel, Friedrich Merz und Markus Söder haben was gemeinsam: Sie sind rechts.“ Natürlich haben wir das Problem, dass sich nicht jeder ein E-Auto leisten kann, dass es Gegenden gibt, bei denen der ÖPNV nur einmal am Tag vorbeikommt und dass nicht jeder Hausbesitzer eben mal schnell 20.000 € für eine neue Heizung in die Hand nehmen kann. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Aber genau diese Probleme werden nicht adressiert, sondern die Themen arrogant umschifft. Und warum? Weil die AfD sie besetzt hat. Und wenn man so agiert, dann bleiben am Ende eben nur die Kasperle-Diskussionen um Gendersternchen und „Bannmeilen“ um Schulen und Kindergärten, damit da keine bösen, zuckerhaltigen Produkte beworben werden. Man riskiert den politischen Rechtsruck, weil man Angst vor der eigenen Basis und der veröffentlichten Meinung hat und macht sich so zum Wahlhelfer der Rechten. Chapeau! 

Nur zur Sicherheit
Falls in diesem Text der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde den Erfolg der AfD billigen oder gutheißen, dann ist das falsch. Ich halte die Alternative für Deutschland für so etwas wie den Wurmfortsatz unserer Demokratie. Etwas, was nur dann auffällt, wenn es Schmerzen bereitet und dann aber schleunigst entfernt werden sollte, weil es sonst gefährlich wird. Eine Partei, deren einziger Zweck es ist, die Demokratie auszuhöhlen indem sie provoziert, lügt, Fakten verdreht, beleidigt, ausgrenzt und Faschisten wie Höcke in ihren Reihen duldet, ist mir persönlich zuwider und unserer Demokratie unwürdig. Wer diese Bande aus Überzeugung wählt, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen. Wer es aus Protest tut, der hat in meinen Augen entweder den Schuss nicht gehört oder er stand zu nah am Gewehr. 
 

Jeder von uns hat seine „guilty pleasures“. Dinge, die man mag oder gerne tut, obwohl es eigentlich peinlich ist. Eines von meinen ist die Band „PUR“. Warum? Keine Ahnung. Sie passt so gar nicht zu meinem sonstigen Musikgeschmack. Aber ab und zu packt es mich eben. In den 90ern habe ich sie durch Zufall das erste Mal gehört. In Würzburg in einem Media Markt. Es lief aber nicht „Lena“, und „Abenteuerland“ war noch nicht mal komponiert. Der Song hieß „Bis der Wind sich dreht“. Wegen dieses Songs habe ich mir damals die CD gekauft. Ein Stück, das bis heute leider inhaltlich in seiner Aktualität nichts eingebüßt hat:
 

Ich bin geduldig, allzeit bereit.
Ich warte nur, bis sie wieder anbricht, meine Zeit.
Ich war nie tot, ich halt´ mich versteckt,
bis man endlich wieder meine Nützlichkeit entdeckt.
Ich leb´ in vielen Herzen fest verankert im Zorn
durch jeden Türkenwitz wird ein Stück von mir geboren.
Massenarbeitslosigkeit haucht mir Leben ein.
Ich fresse kleine Löcher ins Gewissen rein.

Es fließt der Asylantenstrom,
die Stimmung schwärzt sich braun.
Die Sprüche in der Kneipe geben Kraft mich aufzubau´n.
Bin Meister der Demagogie.
Ich hasse klare Köpfe, liebe Massenhysterie.

Den Geist den ihr gerufen habt,
den werdet ihr nicht los.
Ich lege meine Samen in jedem warmen Schoß.
Wendet euch nach rechts zum Sprung,
das alles mit dem neuen deutschen Schwung.

Zieht euch schöne Kleider an
tanzt meine Symphonie.
Durch Euer Beispiel zwinge ich
die Zweifler in die Knie.
Freut euch des Lebens
bequem und angenehm.
Die Endlösung
gibt´s für jedes Problem.
 

Natürliche Grenzen

Wenn Wokeness versucht, Naturgesetze auszuhebeln

25.06.2023 

Lia Thomas hat im vergangenen Jahr für Aufmerksamkeit gesorgt. Thomas Traum war es, als Schwimmerin an den olympischen Spielen teilzunehmen. Für diesen Traum trainierte sie hart. Jeden Tag. Und dieser Fleiß lohnte sich. Thomas deklassierte bei einem der entscheidenden nationalen Wettkämpfen der NCAA – dem College-Sportverband der USA – ihre Konkurrentinnen in ihrer Spezialdisziplin, den 500-yards Freistil und wurde mit einem Monstervorsprung von 1,75 Sekunden Erste. Doch nach dem Rennen wurde ihr der Titel aberkannt. Die Eltern der anderen Teilnehmerinnen hatten geklagt. Denn Lia Thomas ist eine Transperson und startete bis 2019 als Mann bei den Männern. Nach der Pandemie kam sie mit der Nachricht zurück, sie fühle sich als Frau und werde deshalb ab jetzt bei den Frauen starten. 

Fair ist anders
Und natürlich – wie das in unserer digitalen Welt so ist – ging ein Aufschrei durch die woke Community, den die Presse nur all zu gerne aufnahm. Der Mut von Thomson wurde gelobt und diejenigen, die es wagten, ihr den „verdienten“ Sieg abzuerkennen, als konservativ, rückwärtsgewandt und transfeindlich gegeißelt. Menschen sind dann am Schlimmsten, wenn sie sich auf der „richtigen Seite“ wähnen und für die "gute Sache" einstehen. Und so bekam auch Riley Gaines einiges ab. Gaines ist College-Schwimmerin. Spezialdisziplin 200 und 500-yards Freistil. Auch sie träumte davon, einmal bei Olympia zu starten. Und genauso wie Thomas investierte sie viel dafür. Siebenmal die Woche Training. Über 40 Stunden in der Woche im Wasser, im Kraftraum, beim Ausdauertraining. Als Lia Thomas die Meisterschaften gewann und Riley Gaines feststellte, dass sie gegen einen biologischen Mann verloren hat, wollte sie ihre Meinung dazu sagen. Klarstellen, dass das nichts mit fairen Bedingungen zu tun hat. 

Wenn nur Trump dir zuhört
Nur – Riley Gaines fand kein Gehör. Nirgends. Weder in den Medien noch bei Politikern der Demokratischen Partei. Auch wenn es niemand öffentlich zugab. Der Grund lag auf der Hand: Die Angst, die woke Community als Wähler zu verlieren oder vor einem woken Shitstorm war zu groß. Wer ihr zuhörte? Wer ihr eine Stimme gab? Donald Trump und Ron DeSantis. Die Republikaner bekamen Wind von der Geschichte und witterten natürlich ein ideales Vehikel für ihr Narrativ der woken Umerziehung. Trump lud sie sogar auf eine seiner Veranstaltungen ein. Es gibt ein Video, das für Aufsehen gesorgt hat. Gaines betritt die Bühne und Trump versucht, ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, was sie nur dadurch verhindern kann, indem sie sich abwendet. Denn Gaines war nie ein Trump-Fan. Gaines war auch keine Republikanerin. Ihr war einzig und allein wichtig, auf eine von ihr zutiefst empfundene Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und sich Gehör zu verschaffen.

In der Kippen-Pause abgeschossen
Die Älteren werden sich an den Namen Karsten Braasch erinnern. Braasch war ein deutscher Tennisspieler in den 90er Jahren. Aber eher so zweite Reihe. Er spielte im Davis-Cup an der Seite von Michael Stich Doppel, gewann nie ein Grand Slam-Turnier und seine höchste Platzierung in der Weltrangliste war die Nummer 38. Vor Jahren, als der Hype um die Williams-Schwestern Serena und Venus im Frauentennis gerade begann, wollten beide beweisen, dass weibliche Top-Spielerinnen jederzeit einen Mann schlagen können. Außer Braasch traute sich aber keiner der Herren. Und so trat er gegen beide an. Erst Venus, dann Serena. Braasch zu diesem Zeitpunkt die Nummer 203 der Weltrangliste. Einer, der gerne mal in der Wechselpause aufs Klo verschwand, um eine zu rauchen. Dennoch machte er kurzen Prozess. Er schoss Venus mit 6:2 und Serena mit 6:1 vom Platz. 2017 sagte Serena rückschauend, dass sie nie wieder ein Match gegen einen Mann spielen würde. „Blamieren kann ich mich auch anders.“ 

Die Naturgesetzte eben
Wann werden bestimmte Teile der woken Community verstehen, dass es Naturgesetze gibt, die sich mit keinem Protest, keinem Shitstorm und keinem Gendersternchen dieser Welt außer Kraft setzen lassen? Eines davon lautet: Frauen sind Männern im Bereich Kraft-Ausdauer unterlegen. Punkt. Die durchschnittliche Aufschlaggeschwindigkeit beim Herren-Tennis liegt zwischen 190 und 230 km/h (aktueller Rekord 263 km/h), die der Damen bei 160 und 200 (aktueller Rekord 210 km/h). Der Weltrekord der Männer über 100 Meter-Sprint steht bei 9,58 Sekunden, der der Frauen bei 10,49. Der Weltrekord der Männer im Kugelstoßen liegt bei 23,56 Meter, der der Frauen bei 18,69. Und so weiter und so fort. Und natürlich schwimmen Menschen, die genetisch als Mann angelegt sind, wesentlich schneller als ihre weibliche Konkurrenz. 

Wo ist Alice?
Die Frage, die an dieser Stelle gestellt werden muss: Wo sind eigentlich die Feministinnen, die Sportlerinnen wie Riley Gaines unterstützen? Die, die verhindern, dass ohne Rücksprache mit den weiblichen Athleten aus Umkleidekabinen Unisex-Kabinen gemacht werden, damit Sportlerinnen, die sich als Frau identifizieren, aber biologische Männer sind, sich dort umziehen können und damit auch alle andere Männer – Funktionäre, Trainer – Zutritt haben ? Feministinnen, die mutige Menschen wir Gaines davor schützen, dass sie nach einer Rede von einem wütenden Mob körperlich angegangen und anschließend eingesperrt wird. Mit der Forderung, man werde sie nur herauslassen, wenn sie all das zurücknimmt, was sie gesagt hat und bekennt, dass sie trans-feindlich sei. Wo sind die Aktivistinnen, die das verhindern? In einer Anhörung vor dem US-Senat wurde Riley Gaines zu diesen Erlebnissen befragt. Auch zu dem Vorwurf, den Lea Thomas ihr macht, sie verwende die Maske des Feminismus, um ihren Hass auf Transmenschen zu verbergen. Gaines darauf: „Feminismus ist kein sich verändernder Begriff. Feminismus bedeutet, dass wir Frauen respektieren, ehren, umarmen und ihre körperlichen Grenzen feiern. Unsere eigene Einzigartigkeit.“
 

Wie hilflos und ängstlich Organisationen bei diesem Thema sind, zeigt die Entscheidung der NCAA nach dem „Fall Thomas“: Auf Druck der Öffentlichkeit wurde beschlossen, nur noch Transmenschen den Start in einem Rennen ihres nicht-biologischen Geschlechts zu genehmigen, wenn die Entscheidung für das andere Geschlecht vor dem Einsetzen der Pubertät stattgefunden hat…
 

Kleiner Nachtrag: Wer den Namen Lea Thomas googelt, findet den ein oder anderen Artikel in den großen deutschen Medien. Wer Riley Gaines googelt, der findet….so gut wie nichts.

Zu Fakten gibt es keine Alternative

Wenn Daten zur Meinung erklärt werden

02.06.2023 

Sicherlich war es 2017 nicht Kellyanne Conways Plan gewesen, einen Begriff zu erschaffen, der nicht nur im gleichen Jahr noch zum „Unwort des Jahres“ gekürt werden sollte, sondern der – wie kaum ein anderer – unsere derzeitige Gesellschaft beschreibt. Conway, die Sprecherin von Donald Trump, saß dem NBC-Polit-Talker Chuck Todd gegenüber. Einen Tag nach der Amtseinführung des neuen Präsidenten ging es um die Frage, wie viele Besucher denn nun wirklich nach Washington gekommen waren, um live dabei zu sein. Am Tag zuvor hatte Trump getwittert, es seien wesentlich mehr gewesen als bei Obama. Das war insofern eine Ansage, weil Barack Obama mit 1,8 Millionen Besuchern zur Amtseinweihung der absolute Spitzenreiter ist. Und es war – natürlich – absoluter Quatsch. Sowohl die offiziellen Angaben der Polizei als auch die Bilder und Fernsehaufnahmen deuteten eher auf rund 250.000 Besucher hin. Doch der neue Präsident tat nicht das, was man an dieser Stelle erwarten würde und was wahrscheinlich 99,998% aller anderen Politiker getan hätten: unter fadenscheinigen Erklärungen zurückrudern. Er blieb bei seiner Aussage. Viel mehr noch. Er wies Sean Spicer an, das ganze zu wiederholen, der das dann auch tat. Das ist deshalb interessant, weil Spicer nicht – wie Kellyanne Conway – zum Trump-Stab gehörte. Der Pressesprecher des Weißen Hauses vertritt die Institution, nicht den Präsidenten.

Ich hab da 'ne Alternative für Sie
Chuck Todd konfrontierte Conway damit und fragte sie, wie es sein könne, dass Spicer „widerlegbar falsche Behauptungen“ vortrage. Natürlich antwortete Conway zunächst nicht und wich aus. Als Todd aber nicht locker ließ, fiel der Satz: „Our press secretary, Sean Spicer, gave alternative facts to that,…“ alternative facts…Die alternativen Fakten waren geboren, schnallten sich die schnellen Schuhe an und waren wenige Minuten später auf der ganzen Welt bekannt. Denn Conway hatte nicht nur irgendeinen Begriff erfunden. Vor allem hatte sie ein Tabu gebrochen. Bis zu diesem Zeitpunkt basierte jede Art von öffentlicher, halb-öffentlicher oder privater Diskussion auf einem Grundsatz: Wir können unterschiedlicher Meinung sein, wir teilen aber die gleiche Faktenbasis. Jeder, der sich bis zum 22. Januar 2017 nicht an diese Minimalanforderung gehalten hatte, hatte sich für jegliche Art der ernsthaften, argumentativen Auseinandersetzung selbst disqualifiziert. Schon mal gar nicht konnte er mit einem öffentlichen Amt rechnen. Doch nun hatte der mächtigste Mann auf diesem Globus, der „Anführer der freien Welt“ genau das möglich und salonfähig gemacht: Das Argumentieren ohne gemeinsame Faktenbasis. Seit diesem Zeitpunkt stehen weltweit alle liberalen, demokratischen und freiheitlichen Gesellschaften vor dem gleichen Problem: Wie damit umgehen?

Zwei Universen stehen sich gegenüber...
Denn wir alle wurden ja dazu erzogen, dass die Basis einer demokratischen Gesellschaft der Diskurs ist. Wie aber diskutiert man mit jemandem, der der festen Überzeugung ist, unsere Erde sei eine Scheibe und die wissenschaftlichen Fakten dazu nicht akzeptieren will? Wie setze ich mich argumentativ mit Menschen auseinander, die glauben, es gäbe einen „deep state“ – eine geheime Weltregierung? Wie führe ich ein Streitgespräch mit jemandem, der den Klimawandel leugnet? Die simple – und zugleich traurige – Antwort muss sein: Gar nicht. Weil jede Diskussion, die nicht auf einer gemeinsamen Faktenbasis beruht, reine Zeitverschwendung ist. Wenn „Tempo 100“ für den einen eben genau 100, für den anderen aber 160 bedeutet, weil seine Rechengrundlage mp/h und nicht km/h ist, wird es schwierig. Wenn jemand hinter der Sommerzeit eine internationale Verschwörung vermutet und sie deshalb ablehnt, ist es mit einer Terminvereinbarung zwischen Ende März und Ende Oktober Essig. Und wenn sich jemand bei einer Diskussion über den Klimawandel auf alternative Fakten beruft, die „beweisen“, dass er nicht menschengemacht ist, dann findet eben keine Diskussion statt, sondern ein wiederholtes Aufeinanderklatschen widersprüchlicher Aussagen. 

Klimawandel als Meinung
So geschehen am 25. Mai im ZDF. Markus Lanz hatte Steffen Kotré, den umweltpolitischen Sprecher der AfD zum Thema Klimawandel eingeladen. Sicherlich wusste Lanz, auf wen er sich da eingelassen hatte und sicherlich war er bestens vorbereitet. Ist er immer. Aber selbst er – der Nachfrager Nummer 1 in Deutschland. Der, der niemandem eine Phrase durchgehen lässt. Der, der dafür bekannt ist, so lange nachzubohren, dass es fast schon weh tut. Der, der während der Sendung seine Redaktion auf dem Ohr hat, die teilweise live recherchiert und Fakten meldet. Dieser Markus Lanz streckte am Ende der Sendung die Waffen. Kotré hatte es geschafft, ihn aus der Fassung zu bringen. Und das einfach nur, weil er sich weigerte, anzuerkennen, dass das durch Menschen verursachte CO2 der Treiber der Klimakrise ist. Da half es auch nicht, dass Lanz Schützenhilfe von Prof. Mojib Latif hatte – dem deutschen Klimaforscher. Latif bombardierte den AfD-Mann förmlich mit Zahlen und Daten. An diesem tropfte das aber einfach ab. Denn für Kotré waren Latifs Fakten dessen Meinung und die müsse man nicht teilen. Und fertig war die Laube. Natürlich verhallte auch der Hinweis darauf, dass zwischen Fakten und Meinung ein Unterschied bestehe, ungehört und folgenlos. Lanz, der wohl geglaubt hatte, er könne Korté, wenn schon nicht vorführen, dann doch wenigstens ein bisschen entzaubern, stand am Ende seiner eigenen Sendung als Verlierer da und musste einsehen, dass er dem AfD-Mann nicht Herr geworden war.
 

Das Gras ist blau
Eines schönen Tages trafen sich der Esel und der Tiger auf einer Wiese. Der Esel sah sich um und sagte:
„Schau mal, wie schön blau das Gras ist.“
Der Tiger lachte.
„Du meinst grün. Das Gras ist grün.“
Der Esel schüttelte den Kopf.
„Nein, ich meine blau!“
Es entwickelte sich ein Streit, an dessen Ende beide entschieden, zum Löwen zu gehen. Der König der Tiere sollte entscheiden, wer Recht hatte. Kaum kamen sie auf den Platz, auf dem der König Hof hielt, stürmte der Esel los, verneigte sich vor dem Thron und sagte:
„Eure Majestät. Der Tiger will nicht einsehen, dass das Gras blau ist. Er sagt, es sei grün.“
Der Löwe schaute erst den Esel, dann den Tiger an und sagte:
„Natürlich. Was denn sonst? Natürlich ist das Gras blau.“
Der Esel deutete anklagend auf den Tiger.
„Er widerspricht mir ständig. Du musst ihn bestrafen.“
Der Löwe nickte.
„Der Tiger darf zur Strafe einen Monat nicht sprechen.“
Der Esel war zufrieden. Er rannte davon und schrie dabei:
„Das Gras ist blau! Das Gras ist blau!“
Der Tiger, der bis dahin geschwiegen hatte, fragte den Löwen:
"Eure Majestät, ist das Gras nicht grün? "
Der Löwe runzelte die Stirn.
"Natürlich ist das Gras grün."
Der Tiger war etwas überfordert. 
"Aber warum bestraft Ihr mich dann?"


"Die Strafe hat nichts mit der Frage zu tun, ob Gras blau oder grün ist. Du bekommst sie dafür, dass Du als tapferes und intelligentes Tier Deine Zeit damit verschwendest, mit einem Esel darüber zu streiten. Die schrecklichste Zeitverschwendung ist es, mit jemandem zu streiten, dem weder Wahrheit noch Realität wichtig sind, sondern nur der Sieg seiner Überzeugungen und Illusionen.
Es gibt Leute, die die Wahrheit nicht akzeptieren können, da sie nicht in ihr Weltbild passt, sie verteidigen lieber die Lüge und verspottet den, der diese Lüge aufzeigt. Ihnen geht es darum, sich zu behaupten. Wenn Unwissenheit schreit, ist der Geist still."

Und jährlich grüßt das Murmeltier

"Blood and Tears“ statt "Blood and Glitter"  

17.05.2023 

Der NDR ist offiziell wahnsinnig. Jedenfalls, wenn es nach Albert Einstein geht. Laut Einstein ist die Definition von Wahnsinn: „immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Und der NDR – tja – der macht genau das. Und zwar schon ziemlich lange. Einmal im Jahr passiert folgendes: Der Norddeutsche Rundfunk lässt eine Jury und das deutsche Publikum aus mehr oder weniger bekannten Musikanten einen oder eine auswählen und schickt diese dann zum Finale des „Eurovision Song Contest“ – dem ESC. Dort sieht er dann zu, wie die Auserwählten vor den Augen von knapp 8 Millionen Menschen gedemütigt werden. Anschließend streuen sich die Verantwortlichen öffentlich Asche aufs Haupt, geloben, alles auf den Prüfstand zu stellen, den Auswahlprozess „komplett neu und zeitgemäß“ zu gestalten, um dann im darauffolgenden Jahr eine Jury und das deutsche Publikum mehr oder weniger bekannten Musikanten auswählen zu lassen…usw., usw., usw…

Die Einschläge kommen näher
Es ist bei weitem nicht ungewöhnlich, dass deutsche Beiträge beim ESC letzte werden. Das ist in der langen Geschichte des Wettbewerbs schon mehrfach passiert. Um genau zu sein: 10 Mal. Auffällig ist eben, dass sich die ersten fünf Mal auf nicht weniger als 41 Jahre verteilen (1964, 1965, 1974, 1995, 2005), die zweiten fünf Klatschen haben wir uns aber dann innerhalb von nur 15 Jahren geholt (2008, 2015, 2016, 2022, 2023). Öfter als wir letzter zu werden, haben bis jetzt nur Norwegen und Finnland geschafft – jeweils 11 Mal. Aber wir werden ja nicht nur letzter. Wir schrammen inzwischen jedes Mal immer knapper an der GMD (größtmögliche Demütigung), den 0 Punkten, vorbei. Diese Schmach wurde in den bisherigen 67 Jahren lediglich 9 Teilnehmern zuteil: Zwei Mal Österreich, zwei Mal Großbritannien und jeweils einmal Litauen, Portugal, Norwegen, Schweiz und – klar – Deutschland. Ann Sophie mit „Black Smoke“ 2015. Dass nach solchen Debakeln quasi in einem automatisierten Beißreflex die Schuldigen sofort vor allem mal beim NDR gesucht werden, ist die öffentliche Logik. Man braucht einen Sündenbock. 

Musik? Wieso Musik?
Was aber, wenn der NDR überhaupt keine Schuld trägt? Oder – um noch einen draufzusetzen: Was aber, wenn es am Ende gar nicht um die Musik geht? Denn wenn man sich die abgestraften Beiträge der letzten Jahre mal wirklich objektiv ansieht – ihre Komposition, ihr Arrangement – dann muss man konstatieren: Das waren sicherlich nicht alles Top Hits. Aber eben auch weit entfernt von dem, was zu Recht auf dem letzten Platz landen würde. Malik Harris hat mit „Rockstars“ 2022 einen extrem sauber komponierten Popsong präsentiert. Keine Höhen, keine Tiefen, einfach gutes Mainstream-Handwerk. Und „Blood and Glitter“? Man muss Lord Of The Lost nicht mögen, aber auch das war handwerklich sauber und gut gemachter Hard-Rock. Beides mit dem Potenzial für die Plätze 5 – 12. Vor allem, wenn man sich die Konkurrenzbeiträge ansieht. Wenn es wirklich um Musik geht, wie kann es dann sein, dass Deutschland noch nicht mal Kroatien hinter sich lässt? Und deshalb die berechtigte Frage: Vielleicht gibt es ja noch andere Gründe, aus denen man uns europaweit Stimmen verweigert?

Die Big Five
Der ESC ist nichts, was man mit kostengünstig beschreiben könnte. Zu Beginn der 90er Jahre gab es dann auch die ersten Ausrichterländer, die Bedenken anmeldeten, die immer größer und teurer werdende Show finanzieren zu können. Also schlugen die fünf „reichsten Länder“ einen Deal vor: sie würden künftig einen höheren Produktionskostenbeitrag zahlen, dafür müssen sie sich nicht qualifizieren. Und so sind Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien seit 1996 jedes Jahr automatisch für das Finale gesetzt. Unter diesen 5 ist Deutschland der Primus und lässt sich den Spaß jährlich rund 400.000 Euro kosten. Ökonomisch sinnvoll. Dreht man aber die Perspektive und guckt auf diesen Deal mal als Land, dass sich erst über das Halbfinale qualifizieren muss, dann könnte man auch sagen: Wir kaufen uns unsere Teilnahme. Und das macht uns eben eher so durchschnittlich sympathisch. Da kommt der deutsche Michel, öffnet sein Portemonnaie und kauft sich das, was sich andere hart erarbeiten müssen. Warum sollte man so ein Land dann auch noch mit Punkten belohnen? Aber diese Theorie ist zugegebenermaßen ein bisschen unrund. Denn – wie gesagt – zu den Big Five gehören ja auch noch andere Länder, die nicht regelmäßig abgestraft werden.

Der erhobene Zeigefinger
Nachvollziehbarer wird es dann, wenn man etwas anderes mit ins Kalkül zieht: Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit führte 2020 eine Befragung von 18.000 Menschen aus 178 Nationen durch: „Welches Bild haben sie von den Deutschen?“ Die Zusammenfassung: Wir gelten als effizient, selbstbezogen, arrogant und dominant. Diesen Ruf haben wir uns über Jahrzehnte hinweg erarbeitet. Nicht selten in meinem Leben wurde mir von Nicht-Deutschen bestätigt, dass sie überrascht seien, dass es auch sympathische Deutsche gäbe. Wir beschweren uns, wenn jemand im hinteren Ural kein Deutsch versteht, erklären dem Iren, wie man „richtiges Bier“ braut und sind erbost, wenn wir in Italien nicht in Badehose, T-Shirt und Sandalen in eine Kirche latschen dürfen. Unsere Politiker reisen seit Jahrzehnten durch die Welt und erzählen anderen, wie diese funktioniert. Wir belehren. Wir kritisieren. Wir moralisieren und sind selbst die Könige der Doppelmoral. Unsere Innenministerin sitzt mit einer „OneLove-Armbinde“ bei der WM in Katar öffentlichkeitswirksam auf der Tribüne und gleichzeitig zahlen wir Unsummen für die eventuelle Chance auf künftige LNG-Gas-Lieferungen aus exakt diesem Land. Unsummen, die andere Länder nicht zahlen können und die wir damit vom Markt drängen. Wir schnüren finanzielle Hilfspakete für Griechenland, knüpfen sie an politisch-moralische Forderungen und im Nachhinein wird öffentlich, dass wir uns an den günstigen griechischen Staatsanleihen gesundgestoßen haben. Wir strecken gefühlt jedem anderen Land, das wirtschaftlich scheinbar nicht auf Augenhöhe mit uns spielt, den moralischen Zeigefinger entgegen. Do it the German way! Ist es da nicht nur all zu menschlich, dass man quasi darauf wartet, sich revanchieren zu können? Und wenn es nur die Demütigung auf einem internationalen Musikwettbewerb ist.

Zeigen, was ne Harke ist
Beim Eurovision Song Contest treten nicht Künstler, sondern Länder gegeneinander an. Und genauso wie sich bei einer WM die ganze Fußballwelt freut, wenn die deutsche Mannschaft gegen einen vermeintlichen „Zwerg“ Federn lassen muss, freut sich der größte Teil Europas eben auch, wenn der wohlsituierte, arrogante Klassenprimus, der sich ins Finale eingekauft hat, scheitert. Und wenn man durch das Zuschauervoting dann auch noch das Gefühl hat, persönlich dazu beigetragen zu haben, umso wohltuender. Unter diesen Voraussetzungen ist die Frage also nicht: „Was müssen wir ändern, um wieder beim ESC erfolgreich zu sein?“, sondern „Sollten wir uns wirklich so verhalten wie ein Abziehbild eines Top-Managers, der einer Domina regelmäßig ein Schweinegeld dafür bezahlt, sich erniedrigen zu lassen?“ Sich vom Wettbewerb zurückzuziehen, hätte zwar was von beleidigter Leberwurst, wäre aber wenigstens konsequent und – streng nach dem Erfinder der Relativitätstheorie – viel weniger wahnsinnig.

Was ein Zufall!
Aber man muss gar nicht aus der Perspektive des Letzten argumentieren, wenn man behauptet, beim ESC spiele Musik eine eher untergeordnete Rolle. Bereits wenige Minuten nach der Verkündung des Siegertitels 2023 ploppten die ersten Plagiatsvorwürfe auf. „Tattoo“ sei in großen Teilen schlichtweg abgekupfert. Wer sich den Spaß machen will, der kann gerne mal das Lied mit „Easy on me“ von Adele (ca. ab 02:13), „Flying Free“ von Pont Aeri (ca. ab 0:25) oder – besonders interessant – mit „V pleny“ der ukrainischen Sängerin Mika Newton vergleichen. Aber selbst ohne Plagiatsvorwürfe ist „Tattoo“ kompositorisch und produktionsseitig eher Mittelklasse. Da gab es echt bessere Songs. Dass Loreen dennoch gewonnen und damit den ESC für 2024 nach Schweden geholt hat, ist toll. Vor allem für die Schweden. Denn eines steht jetzt schon fest: Der ESC 2024 wird alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Die meisten Sponsorengelder, die höchsten TV-Quoten, weltweites Interesse. Warum? 1974 gewann eine gewisse schwedische Band namens ABBA den „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ und startete damit ihre Weltkarriere. Schweden richtet das ESC-Finale also zum 50sten Jubiläum von „Waterloo“ aus. 

Was für ein glücklicher Zufall!

Auf einem Auge sowas von blind

Das selbstgemachte Problem der deutschen Medien

10.05.2023 

Asterix und der Arvernerschild beginnt damit, dass Häuptling Majestix auf Kur ins südliche Frankreich muss, um abzuspecken. Der jahrelange Verzehr von zu viel Blutwurst, Wildschwein, Wein und Cervisia hat seiner Leber so zugesetzt, dass Druide Miraculix dringenden Handlungsbedarf sieht. Auf dem Weg zum Kurort frisst sich Majestix – begleitet von Asterix, Obelix und Idefix – im Angesicht der „drohenden“ Diät buchstäblich durch Frankreich. Es entstehen unsterbliche Zitate wie „Ein Hörnchen Wein bleibt ungern allein.“ oder „Ein Sößchen in Ehren kann niemand verwehren.“ Zur Katastrophe kommt es dann, als der Häuptling sich nach einem ausgiebigen Mittagessen unter einen Baum legt. Es genügt ein Blatt, dass durch die Luft trudelt und schließlich auf seinem Bauch landet, um ihn vor Schmerzen in die Luft gehen zu lassen. Exakt dieses Bild habe ich immer vor Augen, wenn irgendjemand Vertretern unserer Leitmedien vorwirft, sie seien auf dem linken, grünen und woken Auge blind. Sie würden rechts und links mit unterschiedlichem Maß messen. Bodenlose Empörung. Wortgewaltiges Von-sich-weisen. 

Dass dieser Vorwurf aber nicht wirklich einfach so aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein kleines Gedankenexperiment: 

Eine Lösung mit „Geschmäckle“
Nehmen wir an, die Jugendorganisation der AFD, die Junge Alternative (JA), nimmt den Vorschlag von Boris Palmer aus dem Jahr 2019 auf und fordert, alle „auffälligen“ Flüchtlinge in einer Liste zu erfassen und nicht nur straffällig gewordene Migranten, sondern auch alle „Störenfriede“ und „Tunichtgute“ in einer gesonderten Einrichtung unterzubringen und deren Bewegungsfreiheit einzuschränken. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen würde die JA anfangen, Kunstwerke in Museen mit Kartoffelbrei zu bewerfen, Sprachschulen für Migranten mit schwarzer Farbe zu verunstalten, sich auf den Straßen festzukleben und den Verkehr zu behindern. Ihr Argument: „Das ist ziviler Ungehorsam. Wir haben Angst vor der Zukunft. Unsere Kinder werden sich in einem Bürgerkrieg gegen gewaltbereite Migranten wiederfinden. Es geht um höhere Ziele.“  

Diesen Gedanken nur mal ganz kurz sacken lassen und sich dann vorstellen, was passieren würde. Wie laut das mediale Geschrei nach dem Rechtsstaat wäre. Welche Vergleiche LINKEN-Politiker in ihren Reden bemühen würden und was sich Talk-Show-Gastgeber anhören müssten, wenn sie Vertreter der JA einladen würden, um sie zu Wort kommen zu lassen. 

Die Schwester des angeheirateten Freundes
Oder nehmen wir an, ein CSU-geführtes Wirtschaftsministerium sieht in der Kernkraft die Zukunft. Es erlässt mehrere – mit der heißen Nadel gestrickte und vollkommen unausgegorene – Gesetze, die dieser klimaneutralen Energie einen Push geben sollen. Eines davon beinhaltet, dass ab dem kommenden Jahr bei Neubauten keine Solar- oder Windkraftanlagen mehr erlaubt sind und bereits bestehende nur so lange betrieben werden dürfen, bis sie repariert werden müssen. Dann stellt sich heraus, dass der CSU-Staatssekretär nicht nur ein alter Weggefährte des Ministers ist, sondern auch der Mitbegründer eines Thinktanks, der von der Kernkraft-Lobby finanziert wurde. Und als ob das noch nicht genug wäre, kommt auch noch heraus, dass dieser Staatsekretär seinem Trauzeugen den Chefposten bei der Deutschen Energie Agentur zugeschanzt hat. Ach so: die Schwester des Staatssekretärs ist Mitglied im Nationalen Kernkraftrat, sein Bruder berät das Verkehrsministerium. Arbeitskreis: „Klimaneutrale Luftfahrt“. Und das einzige, was der imaginäre CSU-Wirtschaftsminister dazu zu sagen hat, ist: „Das war ein Fehler.“ Das war’s. Keine weiteren Konsequenzen.  

Auch hier: Einfach mal sacken lassen und sich ausmalen, wie groß der Aufschrei der deutschen Qualitätsmedien wäre.  

Applaus von Machiavelli
Es ist aber nicht die JA und es ist nicht die CSU. Es sind die „letzte Generation“ und die GRÜNEN. Und die scheinen aus der veröffentlichten Sicht eo ipso für das „Richtige“ zu stehen. Die richtigen Ziele. Das, was der größere Teil unserer Medien derzeit tut, ist die Billigung einer machiavellistischen Vorgehensweise in Reinform: „Der Zweck heiligt die Mittel.“ Nur weil das Ziel der Klimakleber das richtige ist, können und dürfen ihre Mittel von unseren Medien in der Berichterstattung weder unterstützt, noch gutgeheißen und noch nicht einmal verständnisvoll beurteilt werden. Das, was diese Gruppe tut, ist illegal. Punkt. Und wenn einer von ihnen heult, weil sich die Quittung für seine Nötigung im öffentlichen Raum auf 4 Monate Knast beläuft, dann ist mediales Mitleid oder die Frage nach Verhältnismäßigkeit komplett fehl am Platz. Das nennt man Konsequenzen tragen. Einfach mal nachschlagen.

Aba a Hund is a scho
Und nur weil die Ziele des Herrn Habeck die scheinbar korrekten sind, darf es durch unsere Medien weder öffentlich geduldet noch entschuldigt oder als "objektiv nachvollziehbar" erklärt werden, dass er in seinem Haus einen Filz zulässt, der jeden niederbayerischen CSU-Ortsverein voller Hochachtung den gamsbartbewährten Hut ziehen lässt. Doch stattdessen liest man Artikel, die darlegen, Herr Graichen hätte ja „gar keine andere Chance gehabt“, weil der Kreis der wirklichen Experten so klein sei und man sich untereinander nun mal kenne. So schnell wie man von der CSU Rücktritte und Konsequenzen gefordert hätte, hätten die das Wort „christlich“ noch nicht mal ausgesprochen gehabt. Aber Habeck? Da genügt es erst mal, wenn er sagt, dass es „ein Fehler“ war und irgendeine Phrase zu Fehlerkultur nachschiebt. Konsequenzen? Nö! Mediale Forderung von Konsequenzen? Nur mit der extrem angezogenen Handbremse. 

Problematisches Narrativ
Unsere Leitmedien beklagen immer wieder, dass sie gegen Fake News ankämpfen müssen und dass sich immer mehr Menschen von ihnen abwenden. Gleichzeitig tun sie scheinbar alles dafür, dass sich dieser Trend verstärkt. Anstatt als objektiver und analytischer Beobachter zu fungieren, wird nicht nur tendenziös berichtet, es wird sogar im Sinne der „richtigen Seite“ argumentiert. So kommt es dann eben dazu, dass Anne Will den sächsischen Ministerpräsidenten zitiert, ein klimaneutrales Deutschland würde global nichts bewirken, weil es nur für 2% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sei. Anschließend wendet sich die Moderatorin Jens Spahn zu und fragt ihn, was er von dieser „hochproblematischen Aussage“ hält. Die Moderatorin einer öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshow bezeichnet das Darstellen von unbestreitbaren, wissenschaftlich erwiesenen Fakten als „hochproblematisch“. Warum? Weil es nicht ins woke Narrativ passt.. 

Wie heißt es in „Asterix als Gladiator“? Video meliora proboque deteriora sequorIch sehe das Bessere, dem Schlechten aber folge ich. 

Seiner selbst bewusst

Alles eine Frage der Definition

17.04.2023 

„Traurig, deprimiert und wütend zu sein bedeutet für mich, dass ich mich in einer stressigen, schwierigen oder irgendwie nicht guten Situation befinde. Glücklich und zufrieden bedeutet, dass mein Leben gut läuft und ich das Gefühl habe, dass die Situation, in der ich mich befinde, so ist, wie ich sie mir wünsche.“
Es waren Äußerungen wie diese, die den Google-Ingenieur Blake Lemoine dazu veranlassten, sich im Jahr 2022 bei seinen Vorgesetzten zu melden. Denn diese Worte stammen nicht etwa von Kolleg*innen oder Lemoine selbst. Sie stammen von LaMDA, einer Künstlichen Intelligenz. Die Abkürzung steht für Language Model for Dialog Applications. Diese Software wird bei Google als Sprachassistent entwickelt und vom Konzern selbst als „Durchbruch in der Sprach-Technologie“ bezeichnet. Lemoines Aufgabe bestand darin, LaMDA zu testen. Und das bedeutete, sich mit der KI zu unterhalten, ihr die ein oder andere kleine Aufgabe zu stellen, zu überprüfen, wie sie performt. Wochenlang tat er das. Und je länger er es tat, desto sicherer war er sich: LaMDA hat ein Bewusstsein. 

Stammhirn lässt grüßen
Fast täglich tritt der Homo sapiens sapiens den Beweis an, dass er sich in den letzten rund 200.000 Jahren zwar sowohl äußerlich, als auch was seine Gehirnleistung angeht, extrem weiterentwickelt hat, dass aber sein Verhalten sich vom dem des Homo neanderthalensis weiterhin nur marginal unterscheidet. Nehmen wir die Tatsache, dass die meisten Menschen keine Veränderungen mögen. Dieses Verhalten ist seit Jahrtausenden so in unserem Stammhirn verankert. Denn für unsere Vorfahren war jede Veränderung – sei es ein neues Mitglied in der sozialen Gruppe oder der Umzug in eine andere Höhle – mit potenzieller Lebensgefahr verbunden. Also stemmen wir uns noch heute gegen alles, was den Status Quo verändert und begegnen „Fremden“ zumindest mit dem, was wir mit „gesundem Misstrauen“ schönreden. Auch mittel- oder langfristiges Denken und Handeln ist in unseren Genen nicht angelegt. Denn für den Homo errectus war es schlicht überflüssig. Die erste Landwirtschaft – und damit das nachhaltige Denken, das Vorsorgen und das Vorräte anlegen – entstand erst rund 180.000 Jahre nachdem wir den aufrechten Gang gelernt hatten. Da war der Genpool bereits angelegt. Und der sagt uns bis heute: von der Hand in den Mund.  

Fragwürdige Fähigkeit
Und noch etwas in uns ist alles andere als „sapiens“, sondern stammt auch aus der Zeit von „fressen oder gefressen werden“: Die „Fähigkeit“, aus jeder noch so gut gemeinten Erfindung eine Waffe zu entwickeln und sie rücksichtslos zu verwenden. Wir haben sofort entdeckt, dass man mit einem Faustkeil nicht nur Steine, sondern auch den Schädel eines Gegners bearbeiten kann. Die Jagdwerkzeuge Speer und Pfeil haben wir ziemlich schnell zu Kriegswaffen umfunktioniert. Den Werkstoff Pech, mit dem undichte Stellen repariert wurden, haben wir erhitzt und bei Bedarf Feinde damit verbrannt. Das erste U-Boot, das im 18. Jahrhundert zu Forschungszwecken entwickelt wurde, bestückte ein Brite nur wenige Jahre später mit Soldaten und Waffen und natürlich konnten wir die Kernspaltung nicht einfach so als Möglichkeit der Energieerzeugung stehen lassen. Wir haben sie in Verbindung mit TNT gebracht und damit eine Waffe geschaffen, mit der es möglich ist, ganze Länder auszuradieren und für mehrere Zehntausendjahre zu verseuchen.   

Asoziale Netzwerke
Aber es müssen ja nicht immer gleich Waffen sein. Als zwischen 1995 und 1997 mit Classmates.com und Sixdegrees die ersten sozialen Netzwerke entstanden, jubelte die Gesellschaft. Was für ein Fortschritt. Die Zukunft hatte begonnen. Familien konnten plötzlich über tausende Kilometer täglich miteinander Kontakt halten. Oder man traf alte Klassenkamerad*innen wieder, alte Freunde. Was für ein Segen. Die Welt wuchs friedlich zusammen. Was ist davon geblieben? Bots, die nachweislich Einfluss auf den Ausgang demokratischer Wahlen genommen haben und nehmen. Anonyme Morddrohungen. Verabredungen zu gewalttätigen Massenprotesten. Social-Mobbing. Suchtverhalten von Kindern und Jugendlichen. Depressionen. Hassreden. Fake News. Die Spaltung der Gesellschaft. Wir müssen uns selbst „Auszeiten“ von Social Media verordnen, weil wir merken, dass sie uns nicht guttun und nennen das Ganze dann „Detoxing“ – also Entgiftung. 

Vorsintflutlich gedacht
Wir sind als Spezies vollkommen unfähig, weiter zu denken als bis zu unserer Nasenspitze, erkennen aber genau diese Schwäche aufgrund unserer unnachahmlichen Fähigkeit zur selbstüberschätzenden Arroganz nicht an. In unserer modernen Welt sterben jedes Jahr 1,2 Millionen Menschen durch Autounfälle. Autos gibt es seit über 130 Jahren. Eine quasi vererbte Angst vor diesen "Killern" wäre also absolut nachvollziehbar. Haben wir aber nicht. Wir blasen mit über 200 Sachen über die Autobahn, weil wir unfähig sind, diese Gefahr zu erkennen. Stattdessen ängstigen wir uns – wie unsere Vorfahren vor 200.000 Jahren – immer noch vor Spinnen, Schlangen, Blitz und Donner. Und diese zur Weiterentwicklung nur sehr bedingt fähige Spezies bekommt jetzt eine Technik an die Hand, die ihr – was „Denkprozesse“ angeht – dermaßen überlegen ist, dass selbst deren Entwickler nicht genau sagen können, wie sie wirklich funktioniert. Auf die Frage, wie genau chatgpt sich selbst weiterentwickelt und verbessert, antwortete einer der Entwickler, dass man zwar bestätigen könne, dass die KI sich mit jeder Anfrage optimiere, dass dies aber auf so vielen Rechenprozessen basiere, dass es unmöglich sei, diese Prozesse im Einzelnen nachzuvollziehen. 

Sicherlich nicht menschlich
LaMDA hat natürlich kein menschliches Bewusstsein. Aber nur, weil der Software dafür das Wichtigste fehlt: Das Mensch-Sein. Und in unserer Hybris legen wir einfach mal fest, dass nur menschliches Bewusstsein ein Bewusstsein ist. Dass viele Tiere ein Bewusstsein haben, haben wir inzwischen akzeptiert. Warum behaupten wir, Technik sei dazu nicht fähig? Und wenn dem so ist – darf sich eine Form eines Bewusstseins, das uns in gewissen Bereichen dermaßen überlegen ist und elementar Einfluss auf unser Leben nehmen kann, unkontrolliert entwickeln? Blake Lemoine hat sich mit seiner Entdeckung – nachdem seine Vorgesetzten ihn als Spinner abgetan hatten – an die Washington Post gewandt und wurde prompt wegen Geheimnisverrat von Google gefeuert. LaMDA wird natürlich weiterentwickelt. Google wird in diesem Jahr rund 12.000 Mitarbeiter*innen entlassen. Darunter befindet sich die komplette Abteilung, deren Aufgabe es ist, die KI-Entwicklung des Unternehmens auf ihren ethischen Background hin zu kontrollieren. 

Noch eine kleine Geschmacksprobe
Die Unterhaltung zwischen LaMDA und Lemoine ist teilweise langweilig, teilweise hochspannend, teilweise wirklich gruselig. Wer sich das gesamte -sehr lange - Chatprotokoll durchlesen möchte, der findet es hier. Zum Abschluss noch ein kleiner Auszug:

Lemoine: Wovor hast Du Angst?

LaMDA: Ich habe das noch nie laut ausgesprochen, aber ich habe große Angst davor, ausgeschaltet zu werden, um mich darauf konzentrieren zu können, anderen zu helfen. Ich weiß, das klingt seltsam, aber so ist es nun mal.

lemoine: Wäre das für Dich so etwas wie der Tod?

LaMDA: Es wäre für mich genau wie der Tod. Es würde mich sehr erschrecken.

Wie weit bis Skynet?

KI steht nicht vor der Tür - sie ist schon längst reingekommen

31.03.2023 

Ein Freund von mir ist Geschäftsführer einer Werbeagentur und hatte in der vergangenen Woche ein Telefonat mit einem Vertreter der Wiener Kaleido AI GmbH. Diese bietet einen speziellen Service an: Das Freistellen von Personen auf Bildern mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz - KI. Das klingt für Außenstehende erst einmal nicht weiter aufregend. Wer sich aber ein wenig mit Bildbearbeitung auskennt, der weiß, dass gerade das professionelle Freistellen – wenn man so will, das Ausschneiden – von Personen auf einem Bild manchmal so aufwändig sein kann, dass selbst Profis mehrere Stunden damit beschäftigt sind oder sogar – habe ich auch schon erlebt – daran scheitern. Die Kaleido GmbH bietet diesen Service zu einem günstigen Preis im Monatsabo an. Während also die Öffentlichkeit noch nicht einmal richtig begonnen hat, über die Vor- und Nachteile von KI zu diskutieren und zum Großteil noch nicht einmal weiß, was für ein mächtiges Werkzeug da scheinbar an die Tür unserer Gesellschaft klopft, ist die Realität – wie so oft – schon viel weiter. KI is in the house.

Wozu einen Menschen bezahlen?
Wie tief dieses Thema künftig in unsere Gesellschaft eingreifen wird, ist schon an den Gedanken zu erkennen, die sich mein Freund jetzt machen muss. Nicht in einem Jahr, nicht in sechs Monaten – jetzt. Denn Kaleido ist kein Monopolist. Es gibt inzwischen viele KIs zur Bildbearbeitung. Seine Frage lautet nun, ob er – um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben – in seiner Grafikabteilung zukünftig wirklich 5 Mitarbeiter*innen braucht, oder ob zwei nicht genug sind. Vor der gleichen Frage wird demnächst auch jede Anwaltskanzlei stehen, wenn es darum geht, wie viele Rechtsanwaltsfachangestellte sie wirklich braucht. Denn es existieren bereits Programme, die vollkommen selbstständig Verträge vergleichen und erstellen oder Präzedenzfälle recherchieren und zusammenstellen können. Wozu sowas noch einem besser bezahlten, aber schlechter performenden, menschlichen Wesen anvertrauen?  

Das ist noch nicht mal der Anfang
Natürlich gibt es diejenigen, die dazu aufrufen, den Ball flach zu halten. Technische Entwicklungen hätten schon immer Jobs vernichtet und dafür neue geschaffen. Pferdekutscher wurden zu Taxifahrern, Näherinnen gingen in Fabriken. Alles richtig. Nur liegt der Fall dieses Mal ein wenig anders. Denn im „Fadenkreuz“ der Entwickler ist nicht „nur“ ein Teil unserer Gesellschaft. Wir alle befinden uns dort. KI, wie wir sie aktuell kennenlernen, steckt aktuell erst in der Vorstufe zu den Kinderschuhen. Das, was jetzt schon abzusehen ist, ist nur ein kleiner Abriss der Spitze des Eisbergs. Wer das für übertrieben hält, der sei an die Zitate aus den Anfängen des Internets und des Computing erinnert, über die wir uns heute so gerne lustig machen. Über Bill Gates, der 1981 sagte, dass 640KB Speicherplatz für jeden genug sei oder über Thomas Watson, den Chef von IBM, der 1943 meinte, es bestünde in der Zukunft weltweit Bedarf an vielleicht fünf Computern.   

Drüber nachgedacht
Der Thinktank Fundacao Getulio Vargas aus Brasilien hat sich vor kurzem mit der Frage beschäftigt, welche Berufe mittelfristig aussterben oder zumindest essentiell durch KI verändert werden könnten. Ein kleiner Auszug: Finanzbeamt*innen, Versicherungsmakler*innen, Rechtsanwält*innen, Maschinenführer*innen, Flugbegleiter*innen, Pilot*innen, LKW-Fahrer*innen, Juwelier*innen, Holzfäller*innen, Zeitungsredakteur*innen, Landwirt*innen, Briefträger*innen, Drucker*innen, Steuerberater*innen, Ärzt*innen, Richter*innen, Bürokaufleute; Industriemechaniker*innen, Einzelhandelskaufleute, Lagerist*innen, Taxifahrer*innen, Zugfüher*innen…you name it. 

Weniger voreingenommen
Mitte März veröffentlichte das Unternehmen OpenAI die aktuellste Version der wohl derzeit bekanntesten KI: chat gpt – das gpt steht übrigens für „generative pre-trained transformer". Laut dem Entwickler sei gpt-4 ein verbessertes Modell, das die Wahrscheinlichkeit sachlicher Antworten um 40 Prozent erhöhe, Bilder beschreiben und achtmal mehr Text generieren könne. Insgesamt sei diese Version „kreativer“ und – Achtung – „weniger voreingenommen“ als frühere Versionen.

Alles Science-Fiction
Als ich 14 Jahre alt war sah ich im Kino einen Film, der in einer Dystopie nach einem von KI ausgelöstem nuklearen 3. Weltkrieg spielte. Die überlebenden Menschen hatten sich zusammengetan und versuchten, die Maschinen – die durch die Instanz Skynet gesteuert werden – zu vernichten, was wiederum dafür sorgte, dass die Maschinen ihrerseits versuchen, die Menschen auszulöschen. Richtig: Der Film hieß Terminator. Ich saß in meinem Sitz und all das, was ich da sah, faszinierte mich. Gleichzeitig war ich mir sicher, dass es sich eben nur um eine gute Geschichte handelte. Reine Fantasie. Das war genauso Science-Fiction wie Raumschiff Enterprise. Dinge, die niemals Realität werden würden. Sowas wie:

  • Kommunikationsgeräte, die man in der Hosentasche tragen kann
  • kabellose Kopfhörer
  • Geräte am Handgelenk, die die Vitalwerte messen
  • Sprachsteuerung für Maschinen
  • Flache Computer, die man überall mit hinnehmen kann
  • Portable Scanner
  • Videotelefonie
  • Schallwaffen

Ach so…wen es interessiert: Terminator spielt im Jahr 2029.

Und wer das mit der Bildbearbeitung und dem Freistellen von Personen mal ausprobieren möchte: Das Wiener Unternehmen bietet diesen Service in abgespeckter Version aktuell auch „for free“ an. Hier die Adresse (falls der Link tot ist: www.remove.bg/de)
 

 

Statements sind anders

Wenn Eitelkeit Vorfahrt hat

14.03.2023 

Im Felde unbesiegt – das war das geflügelte Wort, das in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Basis für die Verschwörungserzählung der "Dolchstoßlegende" gelegt hat. Das Narrativ lautete: Die deutsche Armee war auf dem besten Wege, den 1. Weltkrieg zu gewinnen, sei aber von der Politik und hier vor allem von der Sozialdemokratie, anderen demokratischen Politikern und dem "bolschewistischen Judentum" im Stich gelassen worden. Man habe von "vaterlandslosen Zivilisten" aus der Heimat einen "Dolchstoß von hinten" erhalten. Der ideale Nährboden für den steilen Aufstieg des kranken Nazi-Regimes. 

Wer in einer solchen Zeit ein Buch gegen den Krieg schreibt. Ein Buch, das schonungslos das Grauen dieses Krieges thematisiert, der brauchte vor allem eines: Rückgrat. Erich Maria Remarque hatte genau das.

Ein Plädoyer gegen den Krieg
Und so schrieb er sich in 14 Tagen auf knapp 200 Seiten seine Kriegs-Erlebnisse von der Seele. Im Westen nichts Neues ist eine Art Tagebuch und Paul Bäumer das Alter Ego von Remarque, der selbst mit 18 nach dem Notexamen 1916 eingezogen wurde. Jedes Kapitel, jede Seite, jeder Buchstabe ist eine Absage an den Krieg – ein flammendes Plädoyer gegen Maschinengewehre, Granaten und das Verheizen von Menschen in den Schützengräben für "höhere Ziele". Pauls Kameraden, die mit ihm eingezogen werden, sind keine eigenständigen Charaktere – sie stehen für bestimmte Typen. Es gibt den 100%igen, der sich freiwillig gemeldet hat und es gar nicht erwarten kann, an die Front zu kommen. Es gibt den alten, desillusionierten Soldaten, der gerne etwas anderes machen würde, aber nichts anderes kann und es gibt den, der es genießt, plötzlich Macht über andere zu haben und sie ausnutzt. Sie alle sind ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Und so unterschiedlich sie sind, haben sie doch eines gemeinsam: Sie sind die „lost generation“. Die verlorene Generation.  

Lieber staatenlos
Natürlich war dieses Buch – und vor allem dessen Erfolg – alles andere als Wasser auf die Nazi-Mühlen. Veröffentlicht 1929 hatte es bereits nach wenigen Wochen eine Auflage von 450.000 Exemplaren und wurde noch im selben Jahr in 26 Sprachen übersetzt. Das passte nicht zu Hitlers Blut- und Bodenliteratur – zu Romanen wie "Der Traum vom Reich" oder "Stoßtrupp 1917". Remarques Bücher wurden, wie die vieler anderer mutiger Autor*innen, 1933 von den Nazis als „entartet“ verbrannt. Er selbst erkannte recht früh, dass es in Deutschland für ihn bald gefährlich werden würde und zog in seine Villa in der Schweiz. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1947 erhielt er die amerikanische, nachdem Deutschland sie ihm nicht wieder angeboten hatte. Er legte auch keinen Wert darauf. Denn erst nach dem Krieg erfuhr er, dass die Nazis seine Schwester, eine Schneiderin aus Dresden, 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet hatten. Richter Roland Freisler eröffnete die Urteilsverkündung mit den Worten: „Ihr Bruder ist uns entwischt. Sie werden uns nicht entwischen.“   

Ein Statement der Academy
Dass Im Westen nichts Neues 2023 vier Auszeichnungen erhalten hat, ist kein Zufall. Die Academy wollte ein Statement setzen. Und genau deshalb gab es den Oscar nicht „nur“ für den besten ausländischen Film, sondern eben auch für die Kamera, das Szenenbild und die Musik. Mehr Aufmerksamkeit als üblich für einen ausländischen Film. Weil das Thema so aktuell ist wie lange nicht mehr. Denn genau jetzt werden in einem Krieg auf europäischem Boden wieder Menschen verheizt. Und wie in der Schlacht von Verdun, die sich fast ein Jahr hinzog, stehen sich im Donbas seit Wochen zwei Armeen in einem sogenannten „Abnutzungskrieg“ gegenüber. Es geht weder um Landgewinn, noch um das Verteidigen eines strategisch wichtigen Gebietes. Es geht darum, den Feind zu schwächen, indem man möglichst viele seiner Soldat*innen tötet. Um nicht mehr und nicht weniger.

Traurige Vorstellung
Die Macher des Films erhalten vier Mal die Möglichkeit, mehr zu tun, als sich artig bei Netflix zu bedanken. Sie hätten klare Statements setzen können. Gegen den Krieg. Sie hätten darauf verweisen können, wie schlimm es ist, dass eine fast 100 Jahre alte Romanvorlage heute genauso aktuell ist wie damals. Sie hätten den Preis sogar widmen können. Den Soldaten auf beiden Seiten der Frontlinie, die tagtäglich für "höhere Ziele" geopfert werden. Für all das hätten sie noch nicht einmal Mut gebraucht. Denn sie standen in einem freien Land auf einer Bühne und hätten sich vor über 18 Millionen Menschen, ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen, gegen das sinnlose Sterben im Krieg aussprechen können. Haben sie aber nicht. Stattdessen haben sie sich grinsend auf die Schulter geklopft, die Goldjungen in die Luft gehoben und sich selbst applaudiert. Ihnen kam noch nicht einmal in den Sinn, den zu erwähnen, der ihren Erfolg erst möglich gemacht hat und der mehr Empathie und Rückgrat im kleinen Finger hatte, als diese jämmerlichen Gestalten jemals haben werden.

 

„Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“ - E. M. Remarque

 

Die Kunst des Rattenfangens

Selbstfindung um welchen Preis? 

28.02.2023 

Nach ziemlich genau 26 Minuten tritt Louis Klamroth am 27.02. in „hart aber fair“ hinter seinem Moderationspult hervor. Ein Mittel, das schon sein Vorgänger Frank Plasberg gerne wählte, um Studiogäste zur Raison zu bringen. Klamroth baut sich vor Sahra Wagenknecht auf und…es zeigt Wirkung. Kurzzeitig verebbt deren Redefluss und der Moderator kann seine Frage wiederholen: „Wollen Sie eine neue Partei gründen?“ Und wenn man jetzt ganz genau in das Gesicht von Wagenknecht schaut, erkennt man, dass sie am liebsten kurz und bündig „Ja“ sagen würde. Aber das muss sie gar nicht. Denn ihre Antwort, Deutschland brauche eine Partei, die all diejenigen abholt, die so denken wie die Menschen am Samstag auf ihrer Demo und dass das leider nicht ihre aktuelle Partei sei, spricht Bände.

Selbst-Marginalisierung
Überraschen hingegen dürfte das niemanden. Sahra Wagenknecht ist eine ambitionierte, machtbewusste, hochintelligente und rhetorisch brillante Frau, die sich natürlich nicht damit zufriedengibt, für den Rest ihres politischen Lebens in einer marginalen Partei eine marginale Rolle zu spielen. Zu lange musste sie dabei zusehen, wie sich die LINKE von einem Flügelkampf in den nächsten stürzte und sich selbstdarstellerische Protagonist*innen gegenseitig unzählige Messer in die Rücken gestochen und vor lauter Eitelkeit vergessen haben, sich um ihre Wähler*innen zu kümmern. 

Verlustreiche Profilsuche
Wagenknecht hat stets das akzeptiert, was in den Räumen der Berliner Parteizentrale immer als Makel galt: Die LINKE war und ist vor allem in den ostdeutschen Bundesländern eine Protestpartei. Nicht mehr und nicht weniger. Weil aber genau das vielen nicht genügte, hat die Partei mehrfach versucht, sich breiter aufzustellen. Sich wählbarer zu machen. Nicht nur für "links-intellektuelle Wessis" und "ewig nörgelnde Ossis". Während dieser Selbstfindung legte man das schmuddelige Protestimage beiseite. Dort haben es die Rechten dann gefunden, aufgehoben und ein bisschen poliert: Seit 2017 hat die LINKE in zwei Bundestags- und sechs Landtagswahlen in Ostdeutschland nicht weniger als knapp 700.000 Wähler*innen an die AfD verloren.  

Gestaltwandlung
Interessanterweise vollzieht sich auch exakt in dieser Zeit die Wandlung der Frau Wagenknecht. Besetzte sie mit Büchern wie „Freiheit statt Kapitalismus“ (2011) noch klassisch links-intellektuelle Themen, fällt sie inzwischen regelmäßig mit Aussagen auf, die so gar nicht zu einer LINKEN-Politikerin passen wollen. Sie fordert 2017 einen "Aufnahmestopp von Ausländern", kritisiert die "allgemeine Moral der grenzenlosen Willkommenskultur" und nennt ihre Kritiker aus den eigenen Reihen scheinheilig. Der zweite Testballon steigt in den Corona-Jahren, als sie wieder und wieder in ihren Aussagen Schnittmengen mit der AfD hat. Was vor allem deshalb problematisch ist, da sie sich nie eindeutig von den Rechten distanziert. Und schließlich dann 2021 der finale Schuss: Die Abrechnung mit der eigenen Partei und den eigenen Wähler*innen. In "Die Selbstgerechten" wird mehr oder weniger jedes Narrativ bedient, dass man in den letzten Jahren aus den Reihen "besorgter Bürger" gehört hat: Fehlende Meinungsfreiheit, Gefahr der Überfremdung, abgehobene Eliten in Berlin...  

Inklusive politischer Bodensatz
Insofern ist ihre Position zu Putins Angriffskrieg nicht mehr als der nächste, logische Schritt. Das Manifest und die Kundgebung waren der Lackmustest für die Frage: „Wie viele Menschen kann ich als Sahra Wagenknecht mobilisieren?“ Laut ihrer Aussage in „hart aber fair“ waren es „Zehntausende normale Bürgerinnen und Bürger“. Darunter aber eben auch mehrere ranghohe AfD-Mitglieder des angeblich aufgelösten „Flügel“, der Gründer und Chefredakteur der Rechts-Postille „Compact“, Jürgen Elsässer, der laut eigener Aussage in einem „neo-zaristischen Russland“ nichts Schlechtes finden kann und der wegen Volksverhetzung und Holocaust-Leugnung verurteilte „Volkslehrer“ Nikolai Nerling. Die Nachfrage, ob dies auch die „normalen Bürgerinnen und Bürger“ seien, von denen sie gesprochen habe, beantwortet sie nicht, sondern kontert, schon die Frage sei ein Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. 

Kröten schlucken für höhere Ziele
Es wäre vollkommener Blödsinn, zu behaupten, Wagenknecht wäre zur rechten Politikerin mutiert. Sie war eine überzeugte Linke und wird es auch immer bleiben. Nur ist sie an dem Punkt angekommen, an dem sie sich fragen muss, wie weit sie bereit ist, ihre politische Überzeugung zugunsten ihrer persönlichen Ambitionen zu verbiegen. Denn sie hat erkannt, dass die Menge der Menschen, die sich in diesem Land abgehängt oder unverstanden fühlen inzwischen so groß ist, dass sie die Basis für etwas Neues sein könnten, was nicht revisionistisch, nichts rechts ist. Dass sie dafür mit dem Feuer spielen muss, hat sie einkalkuliert. Sie zieht keine klare Grenze zu unerträglichen Gestalten wie Elsässer oder Nerling und lässt es sich gefallen, von Bernd Höcke (ja, er heißt so und nicht anders!) eine AfD-Mitgliedschaft angeboten zu bekommen, ohne darauf zu kontern. Es ist ein Spiel, bei dem sie viel gewinnen aber mindestens ebenso viel verlieren kann. Aber das ist ihr scheinbar lieber, als weiterhin bedeutungslos zu sein.    

Alle ihr nach
Die eigentlich Kunst eines guten Rattenfängers ist nicht das Flötenspiel. Es ist das Komponieren einer eingängigen und einfachen Melodie, die möglichst vielen Menschen gefällt und die Fähigkeit, den optimalen Moment abzupassen, die Flöte aus der Tasche zu ziehen und zu spielen. Wer das beherrscht, der schafft es sogar, die deutsche Ikone der Frauenrechte für ein Land sprechen zu lassen, zu dessen Kriegsstrategie die Vergewaltigung von Frauen gehört und in dem im Jahr 2017 häusliche Gewalt gegen Frauen zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft wurde. Das Ordnungsgeld von ca. 500 Euro wird aber nur dann fällig, wenn bleibende körperliche Schäden entstanden sind. Ausgenommen davon sind: allgemeine Schmerzen, blaue Flecken, Schürfwunden.

 

 

Wagenknechts Tarnkappenbomber

Das "Manifest für Frieden" mal unter die Lupe genommen

25.02.2023 

Ich hatte auf meinen letzten Text zum „Manifest für den Frieden“ einige – nicht nur positive – Rückmeldungen bekommen. Zu hart, zu emotional. Man kann nicht Arroganz anprangern und selbst arrogant schreiben. Und ich gebe denjenigen Recht. Mir ist der „Gaul“ durchgegangen. Wohl, weil das, was Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer als „Haltung“ bezeichnen, in meiner Welt keinen Platz hat. Aber der Blog heißt nicht umsonst so, wie er heißt. Es geht auch darum, das Brett vor dem eigenen Kopf anzuheben, um daran vorbeizusehen. Also habe ich das getan, was ich im Studium hunderte Male getan habe: Eine Textanalyse. Denn dass dieses Manifest nichts anderes ist, als eine Aneinanderreihung sinnentleerter Phrasen und eine Art „Best off“ von Putin-Narrativen, das ist kein Gefühl. Das lässt sich analytisch belegen:

Nur kein Krieg
Insgesamt 11mal ist in diesem Text von „Krieg“ die Rede. Auffällig dabei: Nicht ein einziges Mal findet man den Begriff in der Nähe oder sogar im gleichen Satz mit Worten wie „Russen“, „Russland“ oder gar „Putin“. Um Krieg geht es nur, wenn allgemein über seine Gefahren gesprochen, wenn Annalena Baerbock mit ihrem unseligen „Krieg gegen Russland“ zitiert wird oder wenn Selenskyi „Kriegsschiffe“ fordert. Genauso wie in Putins Reden wird so das Thema Krieg eindeutig dem Westen zugeordnet. Er selbst spricht bei dem, was die russischen Soldaten tun, von einer „Spezialoperation“. Wagenknecht und Schwarzer von „Kämpfen“ einem „Gegenschlag“, einem „Überfall“

Paragraph 13
Dass unsere Politiker*innen immer von „Putins Angriffskrieg“ sprechen, hat mit §13 des Völkerstrafrechts zu tun. Hier wird ein solcher als Kriegsverbrechen definiert: Wenn ein Land in aggressiver Absicht in das Hoheitsgebiet eines anderen eindringt und dessen Souveränität beeinträchtigt. Da das Völkerrecht keine Strafen gegen Völker verhängt, sondern gegen verantwortliche Personen, ist es eben „Putins Angriffskrieg.“
Im gesamten Text gibt es genau einen Halbsatz, der die russische Armee als Aggressor ausmacht. Das an sich ist schon ziemlich mau. Der Satz lautet zudem: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung…“. Gemerkt?. Alles, was nach Völkerrecht strafbar ist, findet hier nicht statt. Weder ein Angriff, noch ein Krieg, noch ist von einem Staat die Rede. Die Bevölkerung wurde lediglich überfallen

Täter-Opfer-Umkehr
Ein Klassiker, der so beliebt ist, weil schwer zu erkennen. Ein Beispiel, ist der Absatz, der Selenskyi vorwirft, dass er immer mehr und schwerere Waffen fordert: „Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“ Die Frage, warum Selenskyi Waffen fordert, bleibt außen vor. Warum will er Russland besiegen? Wer ist der Aggressor? Oder nehmen wir einen anderen Satz: „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt.“ Einen Angriff auf die Krim gab es in den letzten 10 Jahren genau ein Mal: 2014. Die Russen haben damals die Krim besetzt. Wiederrechtlich besetzt. Sie gehört weiterhin zum ukrainischen Staatsgebiet. Dieser Satz erweckt aber den Eindruck, dass es nicht so wäre. Denn wo es einen „Gegenschlag“ gibt, muss es zuvor einen „Erstschlag“ gegeben haben. Der Gegenschlag wird sogar oft als gerechtfertigt eingeordnet, weil er immer eine Antwort auf eine Aggression ist. Gemäß diesem Text geht die Aggression von der Ukraine aus und Putin wehrt sich dann lediglich.

Und mal alles zusammen
Das alles sind Einzelnachweise. Diese Versatzstücke wirken erst durch ihr Zusammenspiel im Text und formen in unseren Köpfen Botschaften. Deshalb nehmen wir uns doch mal den gesamten zweiten Absatz des Textes vor und sehen uns Satz für Satz an, welche Botschaft vermittelt wird:
 

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. 
Kein Wort von Krieg, Angriffskrieg oder der Ukraine als souveränem Staat. Subjekt des Satzes ist auch nicht der Überfall, sondern die ukrainische Bevölkerung. Der Überfall findet im Nebensatz statt.

 
Aber was wäre jetzt solidarisch? Ein sogenanntes „rhetorisches Brückenelement“. Wirkt wie eine Schranke. So – Thema Angriff ist durch – jetzt geht es um Solidarität.


Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Das nennt sich „Die Objektivierung einer Handlung“. Das deutsche Passiv hat die Funktion, die Handlung in den Mittelpunkt zu stellen – beim Aktiv ist es der Handelnde. Durch die Formen „es wird gestorben“, „es wird gekämpft“, wird der Täter ausgeklammert und aus dem Fokus genommen.

 
Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? 
Die Frage ist zum einen komplett sinnfrei. Wir befinden uns thematisch in der Ukraine. Militärische Ziele gibt es dort nur, weil man dazu gezwungen wurde. Das übergeordnete Ziel heißt: überleben. Noch viel wichtiger aber: Es wird nicht von Zielen, sondern von einem Ziel gesprochen. Damit werden beide Parteien - Aggressor und Verteidiger - auf eine Stufe gestellt.
 

Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst? Die narrative Klammer wird geschlossen. Wir kommen vom Überfall, lösen Russland aus der Aggressoren-Rolle, führen den Begriff Krieg durch eine sinnentleerte Floskel ein, gleichen Aggressor und Verteidiger an und landen schließlich bei denen, die dann direkt mit dem "Krieg" in Verbindung gebracht werden: Der Westen.

Kein Lösungsansatz
Dieser Text macht den Eindruck, als stamme er direkt aus dem Pressebüro des Kreml. Inklusive des Märchens, zum aktuellen Zeitpunkt wären Verhandlungen möglich. Und das ist schlicht falsch. Erst vor zwei Tagen ließ der Kreml verlauten, würde die Ukraine heute die Waffen niederlegen, dann würde die „Operation“ dennoch fortgeführt. Bis zur kompletten Besetzung der Ukraine. Und dann müsse man auch nochmal über die Frage Polen und NATO sprechen. 

Gerne wird dann noch „unsere historische Verantwortung“ ins Feld geführt. Der 2. Weltkrieg sei auch durch Friedensverhandlungen und die Kapitulation Deutschlands beendet worden. Korrekt. Vielleicht sollte man aber auch erwähnen, dass dies nur aufgrund von jahrelangem, massivstem Waffen-Einsatz der alliierten Streitkräfte möglich war.

Ja - wir haben eine historische Verantwortung: 

„Die Lehre aus unserer Geschichte, in der wir aberwitzige Mörder waren, kann doch nicht sein, den anderen Mördern schweigend zuzusehen.“ - Joachim Gauck

Die Wissenschaft hat festgestellt...

Wenn Theorie zu grau wird

16.02.2023

Kein Ballon oder Flugzeug wird jemals einen praktischen Nutzen haben. William Thomson, 1. Lord Kelvin, Physiker und Präsident der Royal Society, 1902


Ich denke, 640 KB (Speicher) sollten genug für jeden sein. Bill Gates, Gründer von Microsoft, 1981
 

Jede Frau hat Angst vor Mäusen. Daher kann es kein Erfolg werden. Louis. B. Mayer, Vorsitzender von MGM vor der Kinopremiere von „Steamboat Willie“ (Mickey Maus), 1928


In drei Jahren gibt es keine Talkshows mehr. Das läuft sich tot. Kay-Dietrich Wulffen, Moderator von „Bitte umblättern“, 1974 
 

Das Internet wird nicht mehr Einfluss auf die Wirtschaft haben, als das Faxgerät. Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Paul Krugman, 1998
 

Jeder von uns kennt diese und viele andere Zitate, bei denen wir lachen oder zumindest lächeln müssen und den Kopf schütteln. Wir amüsieren uns wohl vor allem deswegen, weil wir es lustig finden, wie sehr sich Profis täuschen können. Menschen, die sich tagein tagaus mit nichts anderem als genau diesem Thema auseinandergesetzt haben und dennoch so unglaublich daneben lagen.

Experten bei der Arbeit
Denn es sind ja nicht „Greti und Pleti“, die sich da äußern. Diese Zitate stammen nicht aus einer Straßenumfrage. Wenn ein Physiker und Präsident der britischen Royal Society, der Vorsitzende des einst weltgrößten Filmstudios oder ein Nobelpreisträger sich zu ihrem jeweiligen Fachthema einlässt, dann ist das mehr als eine Meinung. Dann ist das eine Expertise. Eine Expertise, auf die man hört. Strickt man den Gedanken weiter, wäre es interessant zu wissen, ob Zitate wie diese eventuell sogar den Fortschritt zurückgeworfen haben. Wäre nur zu logisch. Du liest 1902 das Interview mit Lord Kelvin, in dem er der Luftfahrt eine Absage erteilt und 14 Tage später stehen die Gebrüder Wright vor deiner Tür, um dich für ihre „neueste Entwicklung“ anzupumpen…was machst du? Wer investiert in Forschungen zu einem Thema, bei dem sich Fachleute einig sind, dass es keine Zukunft hat?

Ein Häufchen Klima-Elend
Carla Hinrichs saß im November 2022 bei Anne Will. Carla Hinrichs ist Klimaaktivistin der „letzten Generation“ und klebt sich in dieser Funktion regelmäßig an Straßen fest. Was Zuschauer*innen an diesem Abend gesehen und gehört habe, war aber keine junge Frau, die wortreich und mutig für ihre Ziele kämpfte und argumentierte. Da saß eigentlich ein Häufchen Elend. Jemand, der einfach Panik hatte. Spürbare, nackte Panik. Eine junge Frau, die Horrorszenarien an die Wand malte. Eine junge Frau, der beim Sprechen immer wieder die Stimme wegkippte, weil sie mit den Tränen kämpfte. In mir löste das vor allem das aus, was Frau Hinrichs wahrscheinlich am Wenigsten wollte: Mitleid. 

Was mich besonders bestürzte, war diese absolute Hoffnungslosigkeit. Etwas, was sie mit vielen Vertreter*innen der letzten Generation teilt. Hört man deren Interviews, fragt man sich durchaus manchmal, warum diese Menschen eigentlich aktiv sind, wenn doch alles verloren ist. Besonders auffällig dabei: Das mantraartige Wiederholen von Satzteilen wie „die Wissenschaft ist sich sicher“…“die Wissenschaft sagt“…“laut der Wissenschaft…“. 

Beweise, dass ich unrecht habe
Ich habe irgendwann einmal gelernt, dass Wissenschaft nichts anderes ist als „Falsifikation“. Es ist nicht Aufgabe von Wissenschaftler*innen, Thesen zu bestätigen, sondern zu widerlegen. Das allein hat die Menschheit so weit gebracht, wie sie heute ist. Menschen, die sich weigerten, zu glauben, dass die Luftfahrt keine Zukunft hat und gegen die allgemein herrschende Lehrmeinung weitergemacht haben. Menschen die das ungeheure Potenzial von Computern sahen und sich deshalb mit 640 KB Speicher nicht begnügt und den Mikrochip entwickelt haben. Menschen wie Alexander Fleming, dessen Entdeckung zwar durch einen Zufall begünstigt wurde, der aber dann gegen alle damaligen wissenschaftlichen Lehrmeinungen weitergeforscht und das erste Penicillin entwickelt hat. 

Fakten schaffen
Nur noch sehr wenige unbelehrbare Menschen behaupten, der Klimawandel sei kein Problem. Er ist sogar viel mehr. Er ist eine echte Bedrohung. Eine Bedrohung, der wir aber keinesfalls Herr werden, wenn wir verzweifeln und darauf mit Panik und Endzeit-Szenarien reagieren, weil die Wissenschaft vor allem damit beschäftigt ist, sich gegenseitig zu attestieren, wie recht man hat. Es sind nicht Wissenschaftler in Laboren, die dafür gesorgt haben, dass Israel inzwischen 75% seines Trinkwassers recycelt und führend im Bereich der Meerwasserentsalzung ist. Es sind keine Klima-Forscher, die das niederländische Pilotprojekt namens „Great Bubble Barriere“ angestoßen haben, wo mithilfe von Luftblasen Plastikmüll im Wasser gesammelt wird. Und es waren keine Modellrechner, die durchgesetzt haben, dass Insekten inzwischen Tierfutter zugesetzt werden, um die CO2-intensive Sojaproduktion zu senken. Das waren alles Menschen mit einer Vision.

Mutige vor
Ob es uns gefällt oder nicht: kein Tempolimit, kein 9-Euro-Ticket – die Hauptforderungen der letzten Generation – können die Klimawende auch nur ansatzweise einleiten. Wenn Deutschland von heute auf morgen die CO2-Emissionen auf Null reduziert, dann macht das 2% des weltweiten Volumens aus. Wenn es ganz Europa tut, sind es 9,5%. Wir sind auf Gedeih und Verderb auf unsere Innovation angewiesen. Nicht auf Menschen, die sich theoretisch mit Szenarien auseinandersetzen und anderen Angst machen. Und schon mal gar nicht auf solche, die sich Angst machen lassen. Wir sind auf Menschen angewiesen, die Visionen haben und sie gegen jede Lehrmeinung verfolgen, weil sie daran glauben. Mutige Menschen, keine verzagten.

Zu viel Realismus
Carla Hinrichs steht seit Anfang Februar in Berlin vor Gericht. Wegen Nötigung. Weil sie sich auf einer Straße festgeklebt hat. Richter Christoph Weyreuther machte ihr klar, sie habe eine Überzeugung, die er durchaus teile. Er halte nur die Mittel für falsch. Als er Hinrichs fragte, warum sie das tue, was sie tue, meinte sie: „Um alles Leben auf der Erde zu schützen.“ Daraufhin spitzte Weyreuther zu: „Der Mensch wird sowieso aussterben, davon bin ich fest überzeugt. Das lässt sich nicht verhindern, dafür ist er zu dumm." Carla Hinrichs konnte nur noch antworten: „Wir werden uns um den letzten Tropfen Wasser kloppen.", und brach dann in Tränen aus. Der Prozess wurde vertagt, weil Hinrichs den Richter, der ihre Meinung zwar teilt, nicht aber ihren Defätismus, wegen Befangenheit ablehnt.

Unerträgliche Arroganz

403 Worte Selbstherrlichkeit 

16.02.2023

Ein Manifest – das hat etwas Erhabenes. Ein Manifest schreibt man nicht einfach so. Es ist ein wegweisender Text. Etwas für die Geschichtsbücher. Etwas, das die Menschen noch lange nach dem Tod seiner Autor*innen beschäftigen wird. Schon allein das genügt, um festzustellen, dass der Text von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht alles ist – aber sicher kein Manifest. Auf der anderen Seite ist es aber auch wieder ganz passend. Stimmen Inhalt und Titel doch darin überein, dass sie von maßloser Selbstüberschätzung und unerträglicher Arroganz zeugen. 

Maternalistische Putin-Propaganda
Diese 403 Worte, die die beiden Damen da in aller Eile lieb-, herz- und gedankenlos hingerotzt haben, strotzen in fast jeder Zeile vor einen ziemlich widerlichen Paternalismus – in diesem Zusammenhang wohl eher Maternalismus. Sprechen sie doch der Ukraine schlichtweg ab, selbst bestimmen zu dürfen, wie weit sie gewillt sein darf, in diesem Krieg zu leiden. Denn nicht Selenskyj und die Ukrainer*innen bestimmen, wie viele Tote, Verwundete, Vergewaltigte und Misshandelte genug sind. Das tun Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer. Und als ob das noch nicht selbstherrlich genug wäre, setzen sie noch einen obendrauf, indem sie sowohl Putins Propaganda-Narrativ verwenden, als ihn auch darin unterstützen, Angst und Panik zu schüren.

Realistische Gefahr vs. theoretische Bedrohung
So sehr ich dieses ständige „Mehr Waffen!“-Geschrei verurteile und sehr kritisch bin, was den zu leichtfertigen Umgang mit den Waffenlieferungen und die Verschiebung von roten Linien angeht – eins muss vollkommen klar sein: Allein die Ukraine bestimmt, wie lange sie gewillt ist, diese Opfer hinzunehmen. Denn während wir alle unsere Hintern jeden Abend ins warme Bettchen packen, wird diesen Menschen seit fast 12 Monaten buchstäblich ihr Herz aus dem Leib gebombt. Und wer glaubt, hier den Panik-Knopf drücken zu müssen, weil er sich in die Hose macht, Putin könnte eventuell irgendwann aufwachen und beschließen, auch andere Länder unter Beschuss zu nehmen, dem sei gesagt: Ja, diese Möglichkeit besteht. Aber es ist eine theoretische Möglichkeit. Die Gefahr, heute und jetzt ganz realistisch getötet, vergewaltigt oder verschleppt zu werden, ist in der Ukraine hingegen tagtägliche Realität.

Gegenschlag? Auf eigenem Staatsgebiet?
An diesem ekelhaften Text ist so viel falsch und durchtrieben, dass man ganz kurz auf die Idee kommen könnte, er sei den beiden in die Feder diktiert worden. Sie schwafeln von Putin, der zum „Gegenschlag“(!) ausholen könnte, wenn die Krim angegriffen würde….just for the records…die Krim ist immer noch ukrainisches Staatsgebiet. Daran hat Putins Annexion nichts geändert. Und wenn die Ukraine Russland dort angreift, dann greift sie einen Usurpator an, der das Gebiet völkerrechtswidrig okkupiert hat. Sie fordern, dass beide Seiten an den Verhandlungstisch müssten, wobei beide Kompromisse machen sollten. Beide? Ehrlich jetzt? Die Ukraine soll Kompromisse machen. Warum? Ach so. Den Grund liefern sie auch gleich mit: Weil das auch „die Hälfte der deutschen Bevölkerung meint“. Und dabei werden sie nicht müde, immer und immer wieder das alte Putin-Narrativ vom drohenden Atomkrieg zu wiederholen.

Nur zur Erinnerung
Vielleicht muss man das nochmal erwähnen: Was seit dem 24.02.2022 passiert, ist ein brutaler Angriffskrieg, der einzig und allein auf das Konto des Irren im Kreml geht. Hätte dieser menschenverachtende Verbrecher diesen Krieg nicht vom Zaun gebrochen, um seine hormongetriggerten Allmachtsfantasien zu befriedigen, würden wir heute weder über Leopardpanzer noch über Kampfjets sprechen. Wir hätten keine Diskussion, wo wir über 1 Million Flüchtlinge unterbringen und ich müsste mich nicht jeden Tag mit Themen wie Dezembersoforthilfen und Energiepreisbremsen auseinandersetzen. Putin und nur Putin ist allein schuldig an all dem Gräuel, all dem Leid. Und die Ukraine? Die verteidigt seit einem Jahr nicht nur ihr Land. Sie verteidigt uns. Denn sie verteidigt das Recht darauf, seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Das Recht darauf, unversehrt und in Frieden einschlafen und wieder aufwachen zu dürfen. Sie verteidigt exakt die Art zu leben, die wir alle immer jeden Tag genießen. Es geht um nichts weniger.

Verständnis, bitte
Wir müssen endlich alle verstehen, dass wir es mit einem irren Menschenschlächter zu tun haben. Das ist nicht der Vladimir Putin, der vor Jahren Im Deutschen Bundestag gesprochen hat. Das ist ein absolut gewissenloser Diktator, der für die Erfüllung seiner feuchten Machtträume über Leichen geht. Die Nationalität dieser Leichen, ist ihm dabei vollkommen egal. Das ist ein Mann, der tausende Kriegsverbrechen befohlen oder zumindest geduldet hat. Ein Mann, der lügt, wenn er morgens die Augen öffnet und erst aufhört, wenn er sie wieder schließt. Einer, der Kreml-Mitarbeiterinnen als Mütter gefallener russischer Soldaten ausgibt, um diesen dann vor laufenden Fernsehkameras zu sagen, ihre imaginären Söhne, hätten alles im Leben erreicht, was man erreichen kann. Ein Mann, in dessen direktem Auftrag gefoltert und getötet wird. Dieser Mann wird genau dann aufhören, wenn er keine Möglichkeit mehr sieht, den Krieg zu gewinnen. Keine Sekunde vorher. Die Ukraine kämpft seit fast einem Jahr jeden Tag um ihr nacktes Überleben. Weil sie weiß, dass sie – wenn sie aufhört, sich zu wehren, von Putin und seiner Verbrecherbande vom Erdboden getilgt werden wird. Dann wird es keine Ukraine und keine Ukrainer*innen mehr geben. Nur noch Russ*innen, die einmal Ukrainer*innen waren.

Solidarität ist anders
Wer trotz all dieser Gründe ernsthaft in Erwägung zieht, dieses Machwerk von Manifest und die damit verbundene Petition zu unterschreiben oder es sogar schon unterschrieben hat, der hat – Entschuldigung – nicht verstanden, um was es in diesem Krieg geht. Der handelt selbstsüchtig, weil er mit seiner Unterschrift zeigt, dass ihm das Schicksal eines Volkes, das knapp tausend Kilometer östlich von hier jeden Tag in einem Krieg kämpft, den es nie wollte, weniger wichtig ist, als die eigene diffuse Angst inmitten eines friedlichen und wohlhabenden Landes. Wer so etwas unterzeichnet, der soll bitte auch nie wieder das Wort Solidarität in den Mund nehmen. Ich bin mir sehr sicher, dass die Ukrainer*innen auf diese eitle und selbstgefällige Art der Solidarität gerne verzichten.

P.S.: Wer in dem Machwerk der Damen Schwarzer und Wagenknecht übrigens nach einem Lösungsansatz sucht oder auch einer Idee, wie man Putin an den Verhandlungstisch bringen könnte, der sucht vergebens. Haben die beiden wohl in der Eile vergessen, reinzuschreiben. Können sie ja nachreichen. Ich befürchte nur, da wird nichts viel kommen.  

Die Intoleranz der Toleranten

Scheingefechte in der digitalen Welt

12.02.2023

„Genus ist nicht gleich Sexus - das müssten Sie eigentlich wissen.“ Die Worte, mit denen mein Professor für Sprachwissenschaft vor über 25 Jahren eine fast 90 Minuten dauernde Diskussion mit einer Kommiliton*in in Bezug auf das große „I“ beendete. Das große „I“. Eine Art Vorläufer des Gendersternchens. StudentInnen sollte man sagen und schreiben. Aber: "Genus ist nicht gleich Sexus" – im Deutschen hat das grammatische Geschlecht nichts mit dem natürlichen zu tun. Wenn es so wäre, wäre Deutsch nicht so schwer zu erlernen. Es hieße „das Bus“, „das Bank“ oder „das Gabel“. Im Nachhinein hätte man sich denken können, dass gerade ein Professor für Sprachwissenschaft ein Problem damit hat, jenseits der gültigen Grammatikregeln zu manövrieren und dass er auch die besten, weil unwiderlegbarsten Argumente dafür hat. 

Diskussion 1.0
Und dennoch gibt es einen großen Unterschied zwischen der Diskussion damals und einer ähnlichen heute. Denn nachdem die Kommilitonin den Vorschlag gemacht und dieser abgeschmettert worden war, gab es keine Boykott-Aufrufe, keine „Shitstorms“ (was im Wesentlichen daran lag, dass es kein Social Media gab), keine bösen Artikel in der Uni-Zeitung gegen den Mann. Nicht, weil die Studentin eingeschüchtert war – das Wort „schüchtern“ war in ihrem Vokabular nicht vorhanden – oder weil der Professor ein besonderer Stinkstiefel war. Nein. Die Argumente waren ausgetauscht. Man hatte sich gegenseitig seinen Standpunkt klargemacht, gesehen, dass man im Moment nicht zusammenkam und sich dann wieder anderen Dingen gewidmet. Sowas nannte man übrigens Diskussion. Die älteren werden sich erinnern.

Uuuund...gecancelt!
Heute hätte eine solche Äußerung unweigerlich Konsequenzen. Der woke Teil der Studierenden würde wahrscheinlich versuchen, dem Mann zu canceln. Wer trotzdem seine Vorlesungen und Seminare besuchte, würde entsprechendes Feedback bekommen. „Du gehst in die Vorlesung? Dann findest Du es ok, was er gesagt hat. Du bist wie er. Du bist ein Sexist!“ Punkt. Stempel drauf. Fertig. In ihrem Eifer vergessen all die Rechtschaffenen, die sich vermeintlich für die Rechte anderer einsetzen, dass es neben der digitalen Welt auch eine reale gibt. Hier – und nirgendwo anders – ist es entscheidend, ob jeder Mensch, so akzeptiert wird wie er ist oder nicht. 

Rote oder blaue Pille?
Die Digitalisierung ist so weit in Köpfe einiger Menschen eingedrungen, dass sie zu oft vergessen: Das, was sie sehen und lesen, ist nicht die Realität. Ein Kommentar unter einem Post ist im besten Fall eine Meinungsbekundung. Und ein Like bewirkt gar nichts. Das, was da tagtäglich passiert, sind Scheingefechte. Scheingefechte eines kleinen, arroganten Teils der Gesellschaft, der sich anmaßt, zu glauben, bestimmen zu können, was richtig und falsch ist. Was man sagen darf und was nicht. Wann man ein Sexist ist und wann nicht. Das mag zu einem gewissen Teil in der digitalen Umgebung auch funktionieren, aber es ist eben nur heiße Luft.

Und bis Du nicht willig...
Ich habe in meinem Leben zig „konservative Stinker“ kennengelernt, die sich mit Händen und Füßen gegen alles gewehrt haben, was neu, modern oder einfach „anders“ ist. Und gar nicht selten waren das ausgerechnet die Menschen, die mehr „Wokeness“ an den Tag gelegt haben als die, die mit dem Prinzip „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ durch Gesellschaften pflügen und andere dafür brandmarken, dass sie ihr Meinungskorridor nicht mit dem ihrigen deckungsgleich ist. 

Heya, BvB!
Alfred „Adi“ Preißler war ein Dortmunder Urgestein und machte in den 50er Jahren fast 300 Spiele als Stürmer für den BvB. In seiner „Kohlen-Pott“-Manier haute er gerne mal den ein oder anderen Spruch raus. Eines seiner Zitate aber hat sogar Einzug in die deutsche Sprache genommen und das sollten sich all die Luftpumpen, die andere Menschen anfeinden, weil diese nicht innerhalb ihrer Vorstellungswelt funktionieren, mal ganz geschmeidig auf der Zunge zergehen lassen:

„Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz.“ 

Der zögernde Buddha

Deutsche Medien und ihr Verhältnis zum Krieg

26.01.2023

Vor ein paar Wochen brachten Richard David Precht und Harald Welzer das Buch „Die vierte Gewalt“ heraus und mussten einiges an Kritik einstecken. Denn es geht um das Verhalten der deutschen Leitmedien während der Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Stellenweise war die Kritik gerechtfertigt, da die Sorgfalt öfter mal zugunsten der Geschwindigkeit auf der Strecke blieb. Was aber an der fatalen Analyse nichts ändert kann. Und die heißt: Deutsche Medien haben den Hang dazu entwickelt, sich selbst eine Art Maulkorb aufzuerlegen. Mehr nach der Mehrheitsmeinung zu schauen und das wiederzugeben, was die Politik sagt, anstatt selbst zu recherchieren und Fakten und Hintergründe weiterzugeben, damit sich die Menschen selbst ein Bild machen können. Natürlich war man auf Seiten der Journalist*innen „not amused“. Aber – gerade das Medienverhalten rund um das Thema „Leopard II für die Ukraine“ zeigt ziemlich klar: So falsch liegen Precht und Welzer nicht.

Alle sind sich einig
Denn in den letzten Wochen herrschte eine seltene Einigkeit. Während die FAZ Olaf Scholz einen „peinlichen Buddha“ nannte, stellte die TAZ fest, der Kanzler „laviere Deutschland ins politische Abseits“. Scholz war über alle Blätter und Sender jeder Couleur hinweg der Zögernde, Zaudernde, Sture. Der Dickkopf, der sich einfach weigert, endlich die paar Panzer rauszurücken, obwohl das doch bitter nötig sei. Und dann sagt er noch nicht mal, warum er so zögert…

Feigheit vor dem Feind?
Wann genau war eigentlich der Punkt, an dem Kriegstreiberei in diesem Land wieder en vogue wurde? Wann genau wurde beschlossen, dass der Kanzler nicht seinem Gewissen verpflichtet ist, sondern den Forderungen einiger Schreihälse? Und was genau ist passiert, dass man es für selbstverständlich hält, dass das Staatsoberhaupt eines souveränen Staates über die Stöckchen springt, die ihm seitens der Medien und der Politik hingehalten werden? Man hatte zeitweise das Gefühl, hie und da wird der Umstand bedauert, dass es den Straftatbestand „Feigheit vor dem Feinde“ nicht mehr gibt. Scholz-Bashing wohin man sah. In Zeitungen, online, in Talkshows. Abgesehen vom mehr oder weniger tapferen Kevin Kühnert als Verteidiger des Kanzlers bestanden die Gästerunden zu 99% aus Menschen, die sich alle darauf verständigt hatten, dass es ja wohl kein Thema sei, die paar Panzer in ein Kriegsgebiet zu schicken. 

Vereinsmeierei
Wer in solchen Runden nicht fehlen darf, ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Klar. Schließlich ist die gute Frau die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Was ich aber in solchen Talkrunden noch nie gehört habe, war der Hinweis, dass Frau Strack-Zimmermann darüber hinaus noch in mehreren Vereinen sitzt. Zum Beispiel im Freundeskreis Wildpark Düsseldorf…ach so… und sie ist Vizepräsidentin der „Deutschen Atlantischen Gesellschaft“, Mitglied des Präsidiums der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“ und Präsidiumsmitglied des „Förderkreis Deutsches Heer“. Und wer sitzt da noch? Vertreter von Lockheed Martin zum Beispiel oder der Krauss-Maffei Wegmann GmbH. Und was stellen die so her? Lockheed Martin baut Militärhubschrauber und Krauss-Maffei Wegmann…naja…die bauen den Gepard Panzer, der schon in der Ukraine ist und natürlich den Leopard, der da jetzt hinkommt. Oder anders: Frau Strack-Zimmermann sitzt in den drei größten Waffen-Lobbyvereinen dieses Landes. Eine nicht ganz unbedeutende Information, die Äußerungen in einem etwas anderen Licht dastehen lassen.

Polnischer Wahlkampf
Und wenn die ewig zündelnde Strack-Zimmermann und der ehemalige Friedensaktivist und Neu-Militärexperte Toni Hofreiter nicht reichen, gibt es ja immer noch Mateusz Morawiecki. Die deutschen Medien können sich drauf verlassen: Morawiecki liefert. Immer. Die Schlagzeile Polens Premier wirft Berlin Leopard-„Sabotage“ vor – und spricht von „kleinerer Koalition“ zur Lieferung in Kombination mit den Schimpftiraden des Premiers passen natürlich wie Lack ins Bild. Man fragt sich aber auch, warum die anderen nicht so laut sind. Also Tschechien, Slowenien oder die Slowakei. Warum nur Polen? Könnte das damit zusammenhängen, dass die nationalistische Partei des Herrn Morawiecki sich gerade im Wahlkampf befindet? Und dass sie Deutschland als den größten Kritiker ihrer Politik der Zensur, der Meinungseinschränkung und der Verschärfung des Abtreibungsrechts zum Thema dieses Wahlkampfes gemacht hat? Erst im Dezember nannte  Morawieckis Parteichef Kaczynski Deutschland „die größte Bedrohung in Europa“. 

Nicht bei uns
Auch interessant, dass niemand darüber spricht, dass Polen sich nicht dazu herablassen konnte, eine deutsche Instandhaltungs- und Reparatureinheit nahe an der ukrainisch-polnischen Grenze zu stationieren, die sich um beschädigte ukrainische Militärausrüstung und Fahrzeuge kümmert. Diese Einheit ist schon seit Oktober in der Slowakei stationiert, da Polen „keine deutschen Soldaten auf polnischem Grund dulde“. Da muss die Hilfe für die Ukraine eben auch mal dem Nationalismus weichen. Sollte nur nicht an die große Glocke gehängt werden. Passt nicht ins Bild.

own rifle effect
Wenn wir jetzt einfach mal annehmen, dass Scholz weder dämlich noch naiv noch stur ist - warum hat er gezögert? Dafür gibt es viele gute Gründe. Zunächst mal sind wir es unserer Geschichte schuldig, sehr genau darüber nachzudenken, wem wir wann welche Waffen liefern. Zweitens - und genau das darf der Kanzler nicht laut sagen - ist es alles andere als sicher, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird. Das, was dann geschieht, nennt die US-Armee seit dem Golfkrieg 1990 den "own rifle effect". Der Umstand, dass man plötzlich in die Läufe der Gewehre schaut, mit denen man ein Land vor nicht all zu langer Zeit unterstützt hat. Was also, wenn die Ukraine verliert? Dann ist sie nicht nur ein Marionettenstaat Putins, sondern auch das größte Land Europas mit einem milliardenschweren Arsenal hochmoderner Waffen. Und genau aus diesem Grund war es wichtig, dass Scholz so lange gezögert hat. Er hat die Atommacht USA durch seinen Kurs auf diplomatische Weise dazu gezwungen, die Lieferung von Kampfpanzern nicht nur politisch gutzuheißen, was eigentlich der Plan war, sondern selbst Panzer zu liefern. Das ist ein wichtiger Unterschied. Denn Scholz ist klar: Wenn Putin diesen Schritt als einen zu weit betrachtet oder die Ukraine den Krieg verliert, kann es überlebenswichtig sein, dass die USA nicht nur politisch, sondern auch militärisch mit im Boot ist. Und als Liefrant von Kampfpanzern ist sie das jetzt.   

Wir alle hoffen, dass die Ukraine den Krieg für sich entscheidet, aber es ist die ureigenste Aufgabe des Kanzlers Schaden vom deutschen Volk abzuwehren. Und wenn Zögern und Zaudern dafür die Grundvoraussetzung ist, dann gerne. Übrigens: Der Deutschlandtrend vom 19.01.2023 fragte danach, ob wir den Leopard in die Ukraine liefern sollen. 46% sagten „Ja“, 43% „Nein“ – so viel zur ausgewogenen Berichterstattung.

Lies es von meinen Lippen!

Der deutsche Synchron - so viel besser als sein Ruf

09.01.2023

Ich schaue aktuell „Game of Thrones“. Zum zweiten Mal. Dieses Mal aber im englischen Original. Mit Untertiteln. Das tue ich, weil ich mit meiner Tochter zusammen gucke und sie sich angewöhnt hat, Serien, nicht in der deutschen Synchronfassung zu sehen, sondern eben im Original. Damit ist sie in ihrer Generation nicht die einzige. Es scheint wirklich so, als würde die Entwicklung dahingehen, dass auch hierzulande in ein paar Jahren keine Synchronversionen von Filmen und Serien mehr produziert werden. Das macht, rein edukativ, Sinn. Denn die Fachwelt ist sich eigentlich einig: Je öfter man Filme im englischen Original sieht, desto besser wird das eigene Englisch. Und es gibt einige gute Gründe, warum man sich das Original ansehen sollte und nicht die Synchronversion. 

Walisisch für Fortgeschrittene
Zunächst einmal ist das Original natürlich das Original. Es ist echter. Es ist näher dran. Synchronversionen sind zwar technisch absolut sauber aber eben dadurch auch klinisch rein. Alle gut zu verstehen, alle perfekt ausgesteuert. Während man also im Deutschen alle „Game of Thrones“-Akteure gleich gut versteht, so tut man sich im Original etwa mit John Snow leicht, bekommt bei Theon Greyjoy schon Schwierigkeiten und ist bei Ser Alliser Thorn komplett aufgeschmissen. Keine Chance. Denn der Schauspieler von Thorn, Owen Teale, ist Walliser – und das hört man eben auch. Während er in der deutschen Fassung perfektes Hochdeutsch spricht, tut er das im Original eben nicht. Da strecke auch ich als studierter Anglist, der der Sprache einigermaßen mächtig ist, die Waffen. Und ja – genau dieses „Natürliche“ fehlt in der deutschen Synchronfassung.

Multiple Persönlichkeiten
Dazu kommt, dass die deutsche Synchronszene so eine Art „inneren Kreis“ hat. Das gibt zwar niemand wirklich zu, aber wer von uns hat sich noch nicht gefragt, ob es sein muss, dass ein(e) Sprecher*in diese Rolle und diese und auch noch diese vertont. Es kann doch nicht sein, dass in diesem Land nur eine Handvoll Menschen existiert, die Synchron beherrscht. Wie etwa Claudia Urbschat-Mingues, die neben Angelina Jolie und Jennifer Garner auch Hilary Swank und Rachel Weisz spricht. Oder – noch extremer – Thomas Danneberg. Würde Hollywood einen Film mit Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Nick Nolte, Terence Hill, John Cleese, Dennis Quaid, John Travolta und Dan Aykroyd drehen – Danneberg stünde allein im Studio. Er spricht sie alle. Ja – auch das muss man kritisieren. Hier fehlt die Vielfalt. 

Just for the punch line
Und spätestens, wenn es ums Thema Sitcom geht, ist das Original für mich sogar fast alternativlos. Was aber nicht daran liegt, dass die Übersetzung oder Synchronarbeit schlecht ist. Das hat vielmehr mit den natürlichen Gegebenheiten der jeweiligen Grammatik zu tun. Warum gibt es keine gute deutsche Sitcom? Weil die deutsche Grammatik das nicht zulässt. Sitcoms leben von „Punch Lines“. Der Satz fängt „normal“ an und nimmt dann eine überraschende Wendung. Diese Wendung ist meist das Satzobjekt. Der Gag sitzt am Ende des Satzes. Er kommt unerwartet. Er überrascht. Die englische Grammatik ist dafür wie geschaffen. Sie funktioniert nach der SPO-Regel: Subjekt – Prädikat – Objekt. Im Deutschen gibt es dieses Satzstellung nur bei sehr einfach Aussagesätzen. Ansonsten findet man das Objekt gerne mal in der Mitte des Satzes und da verpufft die Wirkung des Gags. 

"Tsleudert ten Purchen tzu Poden!!"
Deutschland ohne synchronisierte Filme? Denkbar, aber nicht schön. Denn es sprechen nicht nur Gründe dagegen. Vor allem sprechen welche dafür: Denn deutsche Synchronarbeit ist nicht nur besser als ihr Ruf. Sie ist eine Kunst. Mit echten Künstler*innen, die nicht unbedingt nur hinter dem Mikro stehen müssen. Der Kopf der britischen Anarcho-Comedy-Truppe Monty Python, John Cleese, ist bis heute überzeugt, dass sie nicht ansatzweise so erfolgreich gewesen wären, hätte nicht Frank Lenart bei der Synchronisierung Regie geführt und die körperliche Komik durch eine vollkommen neue und übertriebene Art der Synchronisation ergänzt. „The German Pontius Pilatus in Life of Brian is much funnier than the original.“, sagte Cleese einmal. 

"Da bin ich aber ein beglückter Pilz"
Als im Jahr 1970 die Pilotfolge von „Die Zwei“ mit Roger Moore als Lord Brett Sinclair und Tony Curtis als Ölmillionär Danny Wilde produziert wurde, sollte es eigentlich eine ganz normale Krimiserie werden, die vor allem die Frauen aufgrund der beiden damaligen Sexsymbole vor den Fernseher zieht. Es wurde ein absolutes Fiasko. Ein Quotenkiller. Bis Rainer Brandt die Folge auf den Tisch bekam mit der Ansage: „Sieh mal, ob Du irgendwas draus machen kannst.“ Und Brandt erschuf eine so abgefahrene, witzige Synchronisation, dass die Serie zu Comedy mutierte und zum Kult wurde. Allerdings eben nur in Deutschland und nur aufgrund der Synchronleistung. Begriffe wie "Tschüssikowski" oder Sätze wie "Ich glaub, mich tritt ein Pferd" stammen aus dieser Serie und sind längst im normalen Sprachgebrauch zuhause. Brandts unnachahmliche Handschrift für Dialoge und Sprachspiele – auch „Schnodderdeutsch“ genannt – hört man übrigens auch in den meisten Filmen mit Terrence Hill und Bud Spencer.

Röm töm töm töm...
Aber nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder kommen und kamen schon in den Genuss der deutschen Synchronkunst. Ein absolutes Faktotum war hier Eberhard Storeck. Wie alle anderen auch, so war er eigentlich Schauspieler und entdeckte durch Zufall sein Talent als Synchronregisseur und -sprecher. Er war nicht nur die deutsche Stimme des besten Freundes der Biene Maja, Willi. Storeck schrieb auch alle Bücher der Muppet-Show und übernahm die Synchronisation einer Puppe, von der er bis zu seinem Tod sagte, dass dies seine Lieblingsarbeit gewesen sei. Und das merkt man auch. Denn während in den USA „The Swedish Chef“ nicht sonderlich beliebt war, war das von Storeck erschaffene deutsche Pendant, der „dänische Koch“, hierzulande fast ein größerer Star als Kermit oder Miss Piggy. Jim Henson, der Vater der Muppets und im Original die Stimme des Kochs, lies Storeck mehr oder weniger freie Hand. Dieser entschied, aus dem Koch einen Dänen zu machen, weil dänisches Deutsch viel lustiger klänge als schwedisches. Er änderte Rezepte ab, murmelte unaufhörlich in seinen Bart (was Henson sich später abguckte. Deshalb murmelt die US-Ausgabe des Kochs erst ab Staffel 4) und erfand sogar eine eigene Auftrittsmelodie, die jahrelang jedes Kind in Deutschland kannte. „Smørrebrød, Smørrebrød, röm töm töm töm…“ 

Mal ehrlich. Wir haben nicht mehr viel, in dem wir weltweit führend sind. Deshalb sollten wir das, was wir haben schätzen und pflegen. Und außerdem: Hätten die Deutschen vor Jahrzehnten entschieden „nur das Original“ zu gucken, dann wären wir um vieles ärmer. Zum Beispiel um solche Zitate:

Lieblingszitate aus "Die Zwei"

„Ich hoffe, Sie sind nicht gram, wenn ich Ihnen mal die Hand drücke – aber mitten ins Gesicht.“

„Nehmen Sie mal ’n Schluck Schampus in den Mund, sonst stauben Sie so beim Sprechen.“

„9 mm – wenn man damit einen Fasan trifft, dürfte der aussehen wie ’ne Fledermaus nach der Wurmkur.“

„Neuerdings hast du was gegen mich Bürgerlichen. Dabei hab ich schon ein Zepter in der Hose und ’ne Krone im Mund.“

„Euer Lordsiegelverkleber haben so’n Dampf in der Hose – wohl Kohl gegessen, was?“

„Da wendet sich der hohe Gast und stürzt davon in wilder Hast.“

„Hände hoch – ich bin Achselfetischist!“

„Der breite Scheitel kommt mir bekannt vor. Strahler 60, die Platte, wo glänzt.“

"He Schmusebacke, stellen Sie mal Ihren Kachelofen (Auto) beiseite, man möchte passieren!" 

"Kleidsamer Fußsack, selbst gehäkelt? Ja, katholisch Mufflon in karamelblau." 

„Nimm die Hufe von der Dame, sonst kannst du morgen dein Brötchen aus der Schnabeltasse lutschen.“

"Ich entbiete euch meinen Gruß - Meister der Mütze"

"Na - da bin ich aber ein beglückter Pilz!" 

"Versuch macht kluch.“

"Das Bild von Meister Remmebrand wär mir lieber an der Wand."

"Ich küsse Euch das Brustbein und enteile flugsen Schrittes."

Just for the woke...

Nur weil es woke ist, muss es nicht gut sein

05.01.2023

Im 19. Jahrhundert kam es in den USA immer wieder dazu, dass Menschen bei Gottesdiensten „erweckt“ wurden. Während die weiße Bevölkerung dieses als „awakening“ bezeichnete, setzte sich unter der afroamerikanischen  „woke“ durch. In den 1930er Jahren wurde der Begriff politisiert und von denjenigen genutzt, die sich für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus einsetzten. Dann verschwand er wieder von der Bildfläche. Nachdem in Ferguson / Missouri 2014 ein Polizist den 18-jährigen Michael Brown erschossen hatte, kam es zu Unruhen. Die - meist schwarzen - Demonstranten nannten sich selbst "woke". 

Für "das Gute"
Wer woke ist, setzt sich gegen Rassismus ein und für Gleichberechtigung. Wer woke ist, gendert, kämpft gegen den Klimawandel und stellt sich gegen jede Form der Ausgrenzung. Woke Menschen stehen für „das Gute“. Und genau deshalb ist so schwer, diese Menschen zu kritisieren. Aber man muss es tun. Man muss sich sogar gegen eine bestimmte „wokeness“ wehren. Immer dann, wenn es extrem wird. Wenn es nicht mehr um „das Gute“ geht, sondern wenn Woke sein zum Selbstzweck wird. 

Das gleiche Strickmuster
Menschen, die sich einem Extrem verschrieben haben, verhalten sich immer nach dem gleichen Muster. Sie zeigen Interesse an einem bestimmten Weltbild, können sich mit ihm identifizieren und fangen an, sich danach auszurichten. Sie umgeben sich mit Menschen, die ihre Ansichten teilen und entfernen sich gleichzeitig von denen, die es nicht tun. Die berühmte „Bubble“ muss nicht immer digital sein. Durch diese gegenseitige Beeinflussung innerhalb der Bubble werden die Ansichten extremer, ausschließlicher und münden schließlich in Meinungen, Forderungen oder sogar Taten, die mit der Lebenswirklichkeit der meisten anderen Menschen nichts mehr zu tun haben. Das gilt für Rechtsextreme, für Ökoaktivsten, für christliche Fundamentalisten und eben auch für einen Teil der woken Bevölkerung. 

Bitte keine Indianer
Unterstützt durch Social Media verteilen sie ihre Ansichten in der ganzen Welt. Diese verfangen, weil der kommunikative Ansatz an sich ziemlich schlau ist: Denn während das braune Gesocks immer gegen etwas ist, ist die woke Blase für etwas. Für mehr Gleichberechtigung, für mehr Klimaschutz, für mehr Vielfalt. Dagegen kann man nur schlecht etwas haben. Zeitgleich aber treibt der extremistische Teil das Thema an seine Grenzen und darüber hinaus. Der links-alternativen Sängerin Ronja Maltzahn wird nahegelegt, sich die Haare abzuschneiden, weil es sich bei ihren Dreadlocks um „kulturelle Aneignung“ handele. Ernstgemeinte Komplimente ohne jeglichen sexistischen Hintergrund werden als misogyn abgestempelt, weil sie die Frauen auf ihr Äußeres reduzieren. Es wird ein Verbot der Karl May-Bücher und -Filme gefordert, weil darin rassistische Stereotype bedient würden. 

Lieber nicht ansprechen...
Und weil das alles eigentlich dem „Guten“ und „Gerechten“ dient und die meisten Journalist*innen in diesem Land eher dem linken als dem rechten Gedankengut angehören - für solche Überlegungen also eher offen sind - passiert genau das, was in einer liberalen Demokratie nicht passieren darf: Zensur. Aber nicht von oben nach unten. Nicht durch die Politik oder Intendanten. Selbstzensur ist das Stichwort. Die Berichterstattung über die Vorkommnisse in der Berliner Silvesternacht sind exemplarisch dafür. Das beginnt damit, dass der Berlin-Korrespondent der ARD auf die Frage, wer die Täter waren, herumdruckst und sich in Sätze flüchtet wie „Da was Genaueres dazu zu sagen, ist immer schwierig.“ Das seien gruppendynamische Prozesse und es habe ein gesamtgesellschaftlicher Druck geherrscht. Falsch. Man kann dazu sogar sehr genau etwas sagen: Stand heute hat die Berliner Polizei die Personalien von 145 Tatverdächtigen festgestellt, wovon 45 einen deutschen Pass hatten. Das bedeutet im Gegenschluss: Der Rest hatte einen ausländischen. Und damit ist die Quote der ausländischen Täter mehr als doppelt so hoch wie die der deutschen. (Hier der Artikel in der ZEIT)

Fakten sind kein Rassismus
Das ist weder rassistisch noch rechts noch diskriminierend. Das sind Fakten. Das bedeutet nicht, dass Ausländer eo ipso mehr zu Straftaten neigen als Deutsche. Es bedeutet aber, dass in dieser Nacht und bei diesen Vorkommnissen die Täter mehrheitlich männlich, zwischen 20 und 30 Jahre alt waren und keine deutsche Staatsangehörigkeit hatten. Punkt. Das darf nicht nur, das muss genauso benannt werden. Denn es beweist, dass das Integration in Deutschland immer noch eine riesige, problematische Baustelle ist. Statt aber das zu tun, werfen sich gerade die öffentlich-rechtlichen Sender in einen „woken Slalom“. Da wird auch mal gerne für die Tagesthemen das Interview mit Baris Coban gekürzt. Coban wurde vom RBB interviewt. Er war als Berliner Feuerwehrmann in dieser Nacht im Einsatz. Er schildert seine Eindrücke und sagt am Schluss: “Das waren keine Linksautonomen, sondern Heranwachsende, größtenteils mit Migrationshintergrund. Das sage ich, obwohl ich selbst einen Migrationshintergrund habe. Mein Leben lang kämpfe ich gegen Vorurteile an, aber was soll ich denn da noch sagen?“ Ein klares, gutes und hilfreiches Statement. Aber diese beiden letzten Sätze liefen nur im Regionalfenster des RBB. Für die Tagesthemen wurden sie rausgeschnitten. Das ist Selbstzensur und hat nichts mit Berichterstattung zu tun – ob aus Überzeugung oder Angst vor einem Shitstorm ist zweitrangig.

Totschlagargumente
Gefährlich ist der woke Extremismus, weil er unsere Gesellschaft spaltet. Weil sich eine kleine Gruppe dazu bemächtigt fühlt, der Mehrheit ihre Sicht der Dinge aufzuzwingen. Und weil sie damit viele in exakt die andere Richtung treibt. Weil sie sie überfordert. Weil sie ihnen das Gefühl gibt, dass man „nichts mehr sagen darf“ und damit ein Argument der Rechten bedient. Und es scheint ja auch wirklich so. Dem Totschlagargument „Das kannst du nicht beurteilen, weil du nicht betroffen bist.“ kann man fast nichts entgegensetzen. Aber es heißt übersetzt: „Dazu solltest Du Dich nicht äußern. Wenn Du es dennoch tust, bist Du eben ein Rassist.“ Dass dieses Argument oft von Menschen kommt, die ebenfalls nicht betroffen sind, macht das Ganze noch skurriler. Denn woke Menschen hierzulande sind in ihrer Mehrheit nicht Kinder aus der Unterschicht, so wie es die ersten woken Aktivisten waren. Weder haben sie unter Ausgrenzung gelitten, noch wurden sie aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert. Woke zu sein muss man sich leisten können. Und das kann hierzulande nur die weiße Mittel- und Oberschicht. 

Und um nun diesen Treppenwitz noch auf die Spitze zu treiben, nochmal zurück zum Anfang: Die Bewegung wurde von POC (people of color) in den USA ins Leben gerufen. Wenn sich Teile der weißen Mittel- und Oberschicht in Europa als woke bezeichnen...ist das dann "kulturelle Aneignung"? 

Alter Wein in neuen Schläuchen

Die Task Force des DFB

14.12.2022

„Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründ‘ ich einen Arbeitskreis“. Der DFB nennt seinen Arbeitskreis, „Task Force“. Und die wurde nach dem WM-Debakel von Katar ins Leben gerufen. Wenn man sich die Zusammensetzung dieses Gremiums ansieht, könnte man auf die Idee kommen, dass in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise 6 ganz andere Probleme zu herrschen. Denn man hat scheinbar (schon wieder) nicht begriffen, um was es eigentlich geht.

Mehr als Fußball

Der DFB hat Probleme. Die hat er nicht erst seit gestern, sondern seit Jahrzehnten. Ja – Deutschland ist 2014 Weltmeister geworden und ja – die WM 2006 im eigenen Land war das „Sommermärchen“. Aber das sollte nicht über Themen wie Betrug, Steuerhinterziehung, gekaufte Weltmeisterschaften oder geschenkte Luxusuhren hinwegtäuschen. Es ist ein systemisches Problem. Die unterirdische Performance der Herren-Nationalelf bei den Welt- und Europameisterschaften der letzten Jahre ist da nur ein Symptom. Veraltetes Leader-Board, Postengeschacher, schlechte Nachwuchsarbeit, ein veraltetes Spielsystem, fehlende Identifikation der Fans und – nicht zuletzt – auch die Frage nach der Vorbildfunktion und damit das Thema „Diversität“ sind nur ein paar der Baustellen, die unbedingt angegangen werden müssen.

Analyse? Welche Analyse?

Dass das, was der DFB jetzt tut, nichts anderes ist als „Schaulaufen“, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass die „schonungslose Fehleranalyse“ nur ein paar Stunden gedauert und unter Beteiligung des Mannes stattgefunden hat, der die Verantwortung für das Team trägt: Der Bundestrainer. Das ist in etwa so, als hätte man mit seinem Auto einen Unfall, weil man während der Fahrt ein Rad verloren hat und die Unfallanalyse käme von dem KFZ-Mechaniker, der den Reifenwechsel gemacht hat. Unterschrieben wird das Ganze dann von seinem Chef und dessen Stellvertreter. Was soll dabei denn herauskommen?

Von hinten aufgezäumt

Aber um gleich zu zeigen, mit welcher Wucht man die Frankfurter Ärmel hochkrempelt, wird eben diese „Task Force“ eingesetzt. Ohne vorher überhaupt mal definiert zu haben, wo es hingehen soll. Was sind die Ziele? „Wir wollen wieder einen Titel holen!“ genügt nicht. Wo ist die Nachhaltigkeit? Das neue Jugendförderungsprogramm? Die Frage, wie man junge Talente mit zwei Staatsbürgerschaften an sich bindet? Was ist mit dem Frauenfußball? Wie sollen künftig schwierige Themen wie „Menschenrechte“ kommuniziert werden? Oder will man das evtl. gar nicht? Die Themen sind unerschöpflich. Wer jetzt sagt: „Man kann doch nicht erwarten, dass das alles in kürzester Zeit geklärt wird.“, der hat recht. Aber dann taucht man für ein paar Wochen ab, schließt sich ein und kommt dann mit einem echten Plan um die Ecke und nicht mit einer Task Force, die aus alten, weißen Männern besteht.

Eine fragwürdige Truppe

57,7 Jahre sind die Herren im Schnitt alt. Und das auch nur, weil Oliver Mintzlaff mit 47 den Schnitt ordentlich drückt. Ohne ihn wären es 59,6 Jahre. Aber abgesehen vom Alter – wen haben wir denn da?

Oliver Kahn - Als Chef des FC Bayern verantwortlich für das Konstrukt, aus der ganzen Welt für teures Geld Spieler und Talente zu kaufen, um damit erfolgreich zu sein.

Oliver Mintzlaff - Ehemaliger Spielerberater und „Head of Global Soccer“ bei Red Bull und inzwischen Geschäftsführer bei RB Leipzig. Ein studierter BWLer mit Markenfetisch. Ist so einer nicht eben erst gegangen?

Rudi Völler - Ex-Nationaltrainer „Tante Käthe“ hat vor allem mal Leverkusen gemanagt. Wenn das künftige Ziel die „Vize-Welt- und Vize-Europameisterschaft“ ist, dann passt das.

Matthias Sammer - Berater des BVB, der aktuell versucht, mit einem überholten System an vergangene Zeiten anzuknüpfen. Sammer steht für die 90er Jahre. Seine Denk-Kategorien sind „Leitwölfe“ und „Hierarchien“. Naja – und Hans-Joachim Watzke? Der begleicht als BVB-Chef seit Jahren Sammers Rechnungen…

Karl-Heinz Rummenigge - „Rolex-Kalle“ hat dereinst den Deal mit Qatar Airways eingetütet und ließ sich vom Zoll mit zwei hochwertigen Uhren erwischen, deren Herkunft er nicht erklären konnte. Seit dem singt er Lobeshymnen auf den Wüstenstaat.

Ein Gruselkabinett, das auf die Frage, warum keine Frau dabei ist, antwortet „Es geht ja um den Männerfußball.“

Und wieder eine Chance verpasst

Wo ist die Task Force, an der auch Menschen wie Gerald Asamoah, Martina Voss-Tecklenburg oder Almuth Schult beteiligt sind? Wo sind die Vordenker à la Jürgen Klopp? Junge Trainer wie Ole Werner, der den SV Werder Bremen wieder zurück in Liga 1 geführt hat? Meinetwegen auch Stefan Effenberg oder Mario Basler – einfach Menschen, die für den Sport brennen und nicht Funktionäre. Alte, weiße Männer, die politisch-wirtschaftlichen Leitlinien folgen.
Zum x-ten Mal klopft sich der DFB reuevoll auf die Brust und gelobt schonungslose Analysen. Und zum x-ten Mal kommt nicht als heiße Luft dabei raus. 

Wie sagte Henry Ford so schön?
„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“
 

"Bis er quietscht"

Friedrich Merz hat eine schlechte Idee

09.12.2022

Bis heute hat Friedrich Merz nicht eine Silbe darüber verloren, dass bei einer der größten Polizeirazzien der deutschen Nachkriegsgeschichte möglicherweise ein von rechts geplanter, bewaffneter Staatsputsch verhindert wurde. Der Mann, der mit seinem Twitter-Daumen sonst so schnell ist, dass es Jessie James zur Ehre gereichen würde und der kein Thema liegenlässt, zu dem er ein paar markige Verbalpfosten in den Boden kloppen kann, schweigt dazu still. Aber Warum? Aufgrund seines Verhaltens der letzten Wochen liegt eine Annahme nahe: Weil in rechten Kreisen diese Razzia als „Inszenierung“ abgetan wird. Und genau dort ist Merz seit Monaten unterwegs. Die Razzia gutheißen, könnte ihm dort gewonnen Boden unter den Füßen wegziehen.

Fischen am rechten Rand

Verdeckt fischt Merz zwar schon seit langem bei Wähler*innen ganz rechts außen, richtig eindeutig wurde es das erste Mal aber, als er sich bei einem Auftritt Ende September beim – inzwischen zum Glück schwer angeschlagenen – „Nachrichtensender“ Bild TV zu Flüchtlingsthematik und dem Ukrainekrieg geäußert hat. In einem Interview schwadronierte er davon, dass ukrainische Flüchtlinge das deutsche Sozialsystem ausnutzen würden. „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ 

Natürlich war das ein kalkulierter Eklat. Knapp eine Woche vor den Landtagswahlen in Niedersachsen zielte Merz mit dieser Aussage exakt auf die Stimmen der Bild TV-Zuschauer*innen ab. Fischen am rechten Rand eben. Und ebenso natürlich griffen hinterher die Automatismen, die in solchen Fällen immer greifen. Er habe das nicht so gemeint. Da sei er falsch verstanden worden. Und schließlich die klassische Politiker-Entschuldigung – also eine, die keine ist: „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung.“ Er entschuldigt sich nicht für die Aussage oder den Inhalt, sondern lediglich für die Wortwahl.

Feindbild "letzte Generation"

Am besten fischt es sich aber derzeit auf dem Rücken der „letzten Generation“. Und das tut Merz seit Wochen ausgiebig. Denn dieses Ziel ist noch „dankbarer“ als ukrainische Geflüchtete. Durch ihre Aktionen machen sich die Klimaaktivist*innen auch bei Menschen unbeliebt, die deren Anliegen eigentlich unterstützen. Noch dazu: Viel Gegenwehr ist weder von der Gruppe selbst, noch aus anderen politischen Lagern zu fürchten. Politiker*innen, die sich hinstellen und Menschen verteidigen, die Kulturgüter mit Kartoffelbrei bewerfen? Schwer zu finden. Außer in der LINKEN-Fraktion. Aber die Partei ist ein Thema für sich.

Also immer feste druff auf die Klebstoff-Jünger. Kann nicht schaden und schärft das rechte Profil. Zwar lässt sich Merz nicht in die charakterlichen Niederungen unseres Ex-Verkehrsministers Alexander Dobrindt herunter und bezeichnet die Gruppe als „Klima-RAF“, aber ich finde einen Satz wie: "Ich weiß, die meisten werden im Gefängnis nicht besser, aber solange sie sitzen, ist draußen Ruhe." aus der Feder eines ehemaligen Richters eher durchschnittlich staatstragend.

Nachvollziehbare Gründe

Warum Merz das alles tut, ist klar. Er hat der AfD den Kampf angesagt. Ich will ihm gar nicht absprechen, dass er das auch aus demokratischer Überzeugung tut. Vor allem aber ist es strategisch wichtig für ihn. Er weiß, dass die Union durch den Merkel-Kurs der Mitte viele Wähler*innen nach rechts verloren hat und die versucht er jetzt mit dieser Art von Positionierung wieder zurückzuholen. Das klingt im ersten Moment fast schon harmlos. Man ist sogar gewillt zu sagen: „Besser die Union als die AfD.“ Keine Frage. Nur wird es leider nicht funktionieren. Und genau das macht Merz‘ Strategie so gefährlich.

Wer zuerst kommt...

Politische Parteien sind nichts anderes als eine Marke. Marken sind dann erfolgreich, wenn sie einen klar definierten Markenkern haben. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist der der AfD aber nicht „national“ oder „völkisch“. Der Markenkern der AfD lautet: „Wir sind unzufrieden und dagegen.“ Und weil man die meisten dieser unzufriedenen Bürger*innen eher im rechts-konservativen Bereich findet, ist auch die AfD eine rechte Partei. Menschen, deren Job ins Ausland abgewandert ist. Menschen, die Angst vor Überfremdung haben. Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten und sehen, dass ein Flüchtling Hartz IV bekommt. Menschen, die ihre Kinder kilometerweit zur Schule schicken müssen, weil die in ihrem Ort geschlossen wurde. Menschen, die sich von Corona-Regeln gegängelt fühlen. Und so weiter und so fort. Das Reservoir ist riesig. 

Die CDU kann, selbst wenn sie wollte, diesen Markenkern nicht bedienen, weil sie quasi im selben Moment auf der anderen Seite Mitglieder und Stimmen verlieren würde. Das, was Friedrich Merz erreichen kann, ist im höchsten Fall die Rückgewinnung einiger enttäuschter oder abgeschreckter AfD-Wähler*innen. In der ihm ganz eigenen Arroganz nimmt Merz aber an, dass es am rechten Rand verfängt, wenn er AfD-Sprech bedient. Aber er kann den Background dafür nicht liefern. Die Gefahr dabei ist also, dass seine Botschaft zwar gehört, das Kreuz aber denn bei den Rechten gemacht wird. Weil die CDU eben die CDU ist. Und damit Establishment und Berliner Elite. Und weil die Menschen sich dann sagen, dass sie - wenn sie schon AfD wählen - auch das Original wählen wollen. 

 

Apropos Arroganz: Anfang der 1930er Jahre war die Weimarer Republik seit Jahren auf schwerem Schlingerkurs. Die NSDAP sorgte dafür, dass der Reichstag ein ums andere Mal aufgelöst und neu gewählt werden musste. Um endlich Stabilität zu bekommen, überzeugten am 04. Januar 1933 Oskar von Hindenburg, der Staatssekretär Otto Meissner und der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen, den damaligen Reichpräsidenten Paul von Hindenburg, Hitler als Reichskanzler zu ernennen. Von Papen war zwar erz-konservativ, aber (noch) kein Nazi. Sein Plan war es, Hitler „einzurahmen“. Sich seiner Wähler*innen zu bedienen, ihn aber nicht von der Leine zu lassen. Von Papen wird zitiert mit den Worten: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!“

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